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Die Katze im Sack kommt in die Tüte

Dass es sich nicht lohnt, etwas zu lesen, wissen wir erst, wenn wir es gelesen haben. Dann aber haben wir keine Zeit mehr für das, was wir lesen sollten. Zeit zum Lesen und Denken ist knapp und wir können nicht alle Katzen aus dem Sack holen. Wie schaffen wir es, den Sack durchsichtiger zu machen?

Ein Kollege wollte wissen, ob ich schon seinen Artikel auf unserem internen Datenbank-Blog gelesen hätte. Er habe mir einen Hinweis darauf geschickt und am Thema – Text Mining – würde ich doch gerade arbeiten. „Jein“, sagte ich, den Hinweis hätte ich gelesen, den Artikel (noch) nicht. Da Angriff die beste Verteidigung ist, fragte ich zurück, ob der Text des Artikels denn in der E-Mail gewesen sei? Nein, ich hätte aber einen Link aufrufen können.

Hyperbrowser (Hyperbolic Tree) in DeltaMaster
So transparent wünscht man sich jedes Informationsangebot: Hyperbolische Bäume zeigen den Erkenntniswert eines Datenpfades, bevor man ihn begeht. Quelle: DeltaMaster.

Ein zweiter Kollege saß dabei und erinnerte sich an eine Definition aus einer seiner VWL-Vorlesungen in Bochum. Die Dominanz der VWL im Studiengang Wirtschaftswissenschaft sei zwar ein Grund gewesen, seinerzeit nach Nürnberg zu exilieren, aber so viel wisse er noch:

Bei der Beurteilung von Informationsquellen unter Kosten-Nutzen-Aspekten steht der Entscheidungsträger häufig vor einem „Informationsdilemma“: So ist der Nutzen einer Information – etwa hinsichtlich der Verbesserung einer Entscheidung – meist erst dann beurteilbar, wenn die Information beschafft wurde. Dann sind allerdings die Kosten bereits angefallen. *

Da haben wir den Salat. Was tun?

See & Go
Das grundlegende Prinzip muss immer sein, wie in unserem ersten Bild, eine „See & Go“-Situation herzustellen und „Go & See“-Situationen zu meiden. Wenn der erste Blick auf den Sack, pardon: die Information, bereits Nutzen stiftet, schonen wir die Aufmerksamkeit – und die ist ein knappes Gut. Viele Werbeanzeigen, Bordcomputer, Zeitschriften, Softwareanwendungen scheinen von unbegrenzt neugierigen Benutzern auszugehen. Anzeigen müssen erst enträtselt, Knöpfe erst gedrückt, Artikel erst gelesen und Icons erst geklickt werden, bevor der Nutzen erkennbar ist. Das ist zu viel „Go“ vor dem „See“. Der Mensch ist neugierig, dabei aber wählerisch. Weil die Benutzung des Gehirns anstrengt, hat vor allem die Information eine Chance auf Würdigung, die den größten subjektiven Nutzen verspricht. Ist der Nutzen nicht einzuschätzen, schätzen wir ihn auf Null! Wir schauen weg.

Botschaft
Davon war hier schon die Rede: Wer eine Botschaft hat, die sich als Punctum und per Überschrift vermitteln lässt, der sage sie. Mehr zum Thema hier. In der Botschaft finden wir das Prinzip der Zusammenfassung („Management Summary“, „Abstract“, „Action Title“), das allen Profis der Informations­vermittlung heilig ist. Dass Sie bis hierhin gelesen haben, verdanken wir vielleicht dem Zusammenspiel aus Titel, Zusammenfassung, Bild- und Zwischenüberschriften. Diese Elemente funktionieren im Zeitungsdruck seit Jahrhunderten als Treppe, die von Stufe zu Stufe tiefer in den Inhalt führt und jeden Schritt belohnt.

Wir sind Papst!
Wirkung und Einfluss der Bild haben auch mit konsequenter hierarchischer Informationsvermittlung zu tun. Selbst der flüchtigste Blick nimmt Botschaft mit. Das Auge wird gezwungen. Quelle: Bild.

Betreffzeile
Ein Kanal, der zwangsläufig Aufmerksamkeit kostet, ist der Strom täglicher E-Mails. Beinahe alle ließen sich im Sinne von mehr Business Intelligence besser gestalten, wenn dem Betreff mehr Sorgfalt gewidmet würde. Im eigenen Unternehmen nutzen wir Betreffzeilen als elektronischen Zuruf, also für Vorgänge, die keine Antwort erfordern. Abgeschlossen wurden sie eine Weile mit „EOM“ (end of message). Weil wir weniger Denglisch wollen, heißt das inzwischen „ENDE“ statt „EOM“.

Wie schreibt man bessere Betreffzeilen? Indem man sich fragt, was darin stehen müsste, damit auch ohne Öffnen der E-Mail das Wichtigste mitgeteilt ist.

so nicht: so schon:
FW: Meeting Release-Planung Termin für Release-Planung ist 07.12.
Liquiditätsbericht Liquidität 10 Mio., Außenstände 2,5 Mio.
Einladung zum nächsten Arbeitskreis Nächster Arbeitskreis: 07.12.2012 in Landau
Abwesenheitsnotiz Bin abwesend bis 03.12.2012
WiWo Nr. 47, S. 78, 79 Unbedingt lesen: WiWo Nr. 47, S. 78, 79
Auftragseingang AE 600′, kumuliert Nov.: 3,5”

Tatsächlich funktioniert bei uns auf diese Weise einiges an mittelständischem Controlling. Die Kontrolle von Liquidität und Auftragseingang findet bei uns buchstäblich kapazitätslos statt. Ich staune regelmäßig über diesen Effekt.

Vorbild Uhr
Unlängst schenkte mir jemand einen Druck von Cy Twombly. Ich stellte das Bild kurzerhand auf einen Heizkörper im Schlafzimmer, wo es provisorisch, also schon ziemlich lange steht und eine Wanduhr verdeckt. Jedes Mal, wenn ich mich frage, wie viel Uhr es ist, sehe ich unwillkürlich dorthin – und das Bild statt der Uhr. Das Gehirn verknüpft Ort und Information, unbewusst, aber dauerhaft. Das nützt normalerweise, weil: eine Uhr zeigt immer die Zeit, ob man hinsieht oder nicht. Diesen Umstand nahmen wir zum Anlass für einen Versuch: auf Bildschirmen im Büro zeigen wir permanent eine Reihe von Kennzahlen und Ereignissen, von denen wir motivierende Wirkung erwarten.

Das DeltaMaster TickerPortal von und bei Bissantz & Company.
Eine Uhr zeigt die Zeit auch, wenn niemand hinsieht. Das tun einige Bildschirme jetzt auch – mit Informationen aus Vertrieb, Entwicklung, Support. Quelle: DeltaMaster TickerPortal.

Exception Reporting
Im BI immer noch en vogue, aber nicht ohne Tücken, ist die Idee des Exception Reporting. Wir halten wenig bis gar nichts davon, Manager nur dann zu informieren, wenn sie Feuerwehr spielen sollen. Erstens ist diese reine Kontrollorientierung nicht unsere Sicht des Managements. Zweitens ist der sogenannte Hysterese-Effekt zu bedenken: Schlechtes bedrückt uns mehr als uns Gutes beglückt. Beim Entscheiden schwingen negative Information stärker nach, als positive Nachrichten Euphorie verursachen. In Besprechungen beginne man daher mit den guten Nachrichten. Anderenfalls wird ausgerech­net das Gute unterschätzt. Manager, die nur schlechte Nachrichten erhalten wollen, werden schlechte Manager oder sind es schon.

Gefälltmirs
Ich staune manchmal nicht schlecht über die Gewohnheiten der Facebook-Generation, vor allem wenn ich sie im eigenen Haushalt antreffe, weil sie mit mir verwandt ist. Können wir den Wert einer Information durch Rudelverhalten ermitteln? Soll man in Unternehmen Berichte mit einem Button „Gefällt mir“ ausstatten? Vielleicht. Aber bestimmt erst, wenn wir lange nachgedacht haben und begründet der Ansicht sind, der Bericht muss eigentlich gefallen, weil er gut ist.

Wie halten wir es nun mit der Katze im Sack? Sie kommt uns nicht mehr in die Tüte, es sei denn, die ist durchsichtig.

* zitiert nach: Bruhn, M., Marketing – Grundlagen für Studium und Praxis, 10. Auflage, Wiesbaden 2010, S. 94.

Nicolas Bissantz

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