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Böse Wörter

Sprache entwickelt sich. Da kann man nix tun, wenn alle Inhalte sehen, Sinn gemacht wird, andenken ausreicht; wenn alle schon ins Boot geholt und aufgegleist sind und es auf dem Radar haben. Oder? Falsch, wir können!

Ja, wir können. Warum sich länger ärgern? Wir machen dort Schluss damit, wo es uns möglich ist – im eigenen Unternehmen. Ab sofort stemmen wir uns alle zusammen gegen Kurznachrichten-Kauderwelsch, Duckmäuserdeutsch und Denglisch, Imponierfloskeln und Bürohelden-Speak, Pluralfehler, PowerPoint-Platt und pseudoethische Sprachkeulen. Gegen alles, was man mal so dahinsagt, was aber Zeichen ist eines Mangels an Nachdenken, Klarheit, Reichtum, Differenzierung, Genauigkeit, Sprachkraft, Ringen um Verständnis und Verständigung.


Schon Mittelständler wie wir produzieren einen gewaltigen Kommunikationsstrom. Wenn es dabei am Verständnis hapert, weil die Sprache nicht stimmt, kann Führung nicht gelingen.

Ja, wir müssen. Weil wir uns sonst in Unternehmen nicht genau genug verstehen und weil Führung Klarheit braucht. Ein wenig sagen wir das mit roten Ohren, weil wir selbst gesündigt haben. Für unsere interne Kommuni­kation hatte ich asap und EOM etabliert. E-Mails durften kurz und grußlos sein und direkt zur Sache kommen. Für dringend schrieben wir asap, as soon as possible. Kurzmitteilungen in der Betreffzeile einer E-Mail schlossen wir mit EOM, end of message, damit man die E-Mail nicht erst öffnet. Dringend und ENDE schreiben wir jetzt wieder.

Das jüngste Aha-Erlebnis verdanken wir Wolf Schneider. Eine kompakte Version seiner Regeln hat die ZEIT veröffentlicht, in einer Beilage zur Ausgabe vom 10. Mai 2012. Man komme ihm nicht mit der beliebten Redensart, die Sprache entwickle sich eben, sagt er dort. Wir seien mit daran schuld, wenn Sprache verarmt:

„Sie wird entwickelt mit allem, was wir sagen oder nicht sagen, schreiben oder nicht schreiben.“

Bismarck verordnete der Deutschen Reichspost 760 Eindeutschungen. Aus rekommandieren wurde einschreiben, aus poste restante postlagernd. Wir sind ihm dankbar dafür. Wegen Alice Schwarzer werden in jeder deutschen Behörde den Mitarbeitern die Mitarbeiterinnen sprachlich zur Seite gestellt. Das gefällt nicht jeder, zeigt aber den Einfluss, den wir als Einzelne oder als Gruppe haben.

Also los, dann entwickeln wir mit und treten zurück. Wehren wir uns mit Kräften gegen alles, was Sprache verarmt und verschandelt! Mit einer Liste „Böser Wörter“ fangen wir an. Aus ihr soll ein unternehmenseigener Duden entstehen – wenn möglich in einem Format, das mit unseren Programmen zur Textverarbeitung funktioniert. Um unsere Liste zu entwickeln, lernten wir viel von Wolf Schneider.

Diese Wörter sind bei uns für E-Mails und Geschäftspost verbo­ten – weil sie falsch, floskelhaft, abge­droschen, unbedacht, unklar, bürokratisch, beschönigend oder missverständlich sind.

  • abholen
  • Aktivitäten
  • an der Stelle
  • andenken
  • anschieben
  • antesten
  • asap
  • auf dem Radar haben
  • aufgleisen
  • aufhübschen
  • aufschlauen
  • aufsetzen, ein Projekt
  • aus dem Fenster lehnen
  • beinhalten
  • briefen
  • canceln
  • commitment
  • den Hut auf haben
  • downloaden
  • drüberlesen
  • drüberschauen
  • einkippen
  • einphasen
  • einstielen
  • eng mitführen
  • EOM
  • fokussieren
  • Funktionalitäten
  • handlen
  • Impact
  • in einem Thema unterwegs sein
  • Inhalte
  • ins Boot holen
  • Kick-off machen
  • kommunizieren
  • nachhaltig
  • nachvollziehen
  • Opportunität
  • pampern
  • platzieren
  • Player
  • Reminder
  • ressourcenschonend
  • schedulen
  • Sinn machen
  • Stati
  • Stop
  • Szenarien
  • Target
  • thematisieren
  • updaten
  • vom Doing her
  • zeitnah
  • zielgerichtet

Liebe das Verb, aber nicht dich
Verben sind schön, nur die schwerfüßigen, die bürokratischen und die imposanten nicht. Mit durchführen und bewerkstelligen kommt nichts vom Fleck. Bei Imponiergehabe wollen wir gar nicht erst mit. Thematisieren? Ansprechen, aufgreifen, darüber reden! Generieren? Dateien, Programmcode und Lizenzschlüssel: ja, Umsätze und Ideen: nein. Die vielen Verben des Deutschen erlauben uns jeden Unterschied, in jeder Situation, für jeden Zweck. Benutzen wir sie!

Würze mit Kürze
Unser Auge liest Silben – je weniger, desto schneller. Kurz bleibt, wirkt und wird verstanden. „Gier ist gut“, sagt Michael Douglas als Gordon Gecko im Film „Wall Street“. Daran erinnert man sich, auch wenn man anderer Meinung ist. Einsilbig geht es bei uns Betriebswirten selten zu. Geld, Chef, Zahl, Ziel. Schon die einfachen Wörter sind länger: Gewinn, Bilanz, Aktiva, Kosten. Die Deckungsbeitragsflussrechnung lässt sich nur undeutlicher, aber kaum kürzer sagen. Effizienzsteigerungsprogramm schon: Sparen. Versuchen sollten wir es immer. Fremdmittelfinanzierung bedeutet Kredite, Jahresfehlbeträge und Deckungslücken sind Verluste.

Doppelt moppeln halbiert den Sinn
Nehmen wir unseren Text und streichen alle Adjektive. Besser? Tautologien müssen weg, der Rest kann meist weg. Die harte Knochenarbeit, die wichtigen Meilensteine, die wesentlichen Eckpfeiler, die tiefere Sachkenntnis sind doppelt gemoppelt. Man spürt es förmlich: Tautologie entwertet und weicht auf. Sie unterschätzt die Knochenarbeit, verschiebt die Meilensteine und nagt an den Eckpfeilern. Man liest und hört: so schwer, so unverschiebbar, so grundlegend ist es nicht und döst weiter.

Nehmen wir unseren Text noch einmal und ziehen zusammen, was Adjektive geteilt, geschwächt und verdreht haben. Die produzierenden Bereiche, das betriebliche Ergebnis und die situativen Gegebenheiten. Man wüsste doch gerne, wie die Lage ist in der Produktion und was das mit dem Betriebs­ergebnis zu tun hat, sonst schauen wir lieber selbst nach. Wenn die fossile Energielobby sich nicht durchsetzt, kommen Veränderungen auf uns zu? Welche fossile Lobby? Da litt ein Deutschlehrer unter erzieherischem Kontrollverlust? Erzieherische Verluste machen uns nichts, solange die thematischen Inhalte stimmen? Das aber ist zwingend erforderlich, also doch nicht so nötig. Auf solchen Inhalt verzichten wir lieber.

Redensart oder tiefste Sachkenntnis?
„Spanische Krisen-Sparkasse geht ans Tafelsilber“, titelte die FTD. Floskeln sind bequem, weil allgemein verständlich, aber sie langweilen und machen misstrauisch. Weiß der Autor, was das Tafelsilber einer Bank, was Frisches Geld ist, Kredite nämlich, und was die Schieflage des Unternehmens aus­macht? Hätte es uns Lesern nicht geholfen, gleich zu sagen, dass die Bank wegen ihrer Schieflage, Pardon, Verluste ihre Beteiligungen verkaufen muss?

Gänzlich schief werden Redensarten, wenn sie keine sind: Was ist das Bermudadreieck des Projektmanagements? Warum ist der Controller ein Lotse? Sollte nicht der Chef den Kurs vorgeben?

Singularetantum gibt es nicht im Plural
Es gibt keine Funktionalitäten, keine Marketingaktivitäten, keine Inhalte. Die Funktionalität umfasst bereits alle Funktionen, die Aktivität lässt sich nicht durch mehr Aktionen steigern und guter Inhalt ist so einsam und selten, wie ihn der Singular macht. Da geht es ihm wie dem Glauben und der Moral, dem Gold und dem Glück. Wenn etwas schon alles meint, kommt nichts Neues hinzu, wenn wir es vermehren.

Denglisch
Zu viele englische Begriffe, für die es Treffendes im Deutschen gibt, nerven. „Caveats, Grenzen: How to keep it alive?” – so lautete der letzte Programm­punkt in einem Seminar, dessen thematischer Inhalt Data-Warehouse-Konzepte waren. Eine Mischung aus Deutsch und Englisch ist schlimmer als Englisch zu lassen, was man aus Faulheit nicht übersetzt hat. Die Keynotes, White Papers, Data Sheets halten wir kaum aus, den Einzel-Track aber gar nicht mehr.

Englisch und Deutsch haben nicht dieselben Regeln. Beim Verbinden klemmt es hinten, in der Mitte und vorn, bei Genitiv und Bindestrich: Coaching-Interventions-Tools wären lieber zu Hause als Coaching Intervention Tools geblieben und hierher als Schlichtungsregeln eingereist. Dort, wo das herkommt, wollte ich kein Gecoachter sein. Auch dann nicht, wenn ich mir das Anmeldeformular mit einem Klick downloaden kann. Ich meine, so vom Doing her. Auch ohne Mitglieds-Account. Ausnahme: Gegen Spam haben wir nichts, Massenwerbesendungen sind nicht besser.

Gelobt zu werden ist gut, loben ist besser
Geliebt und gelobt zu werden, sind gute Gründe, das Passiv zu benutzen. In Handbüchern und Gebrauchsanweisungen muss man uns nicht ansprechen. Der Teig wird geknetet, das Programm wird gestartet. Auch wer die Tief­garage zusperrt, kann uns egal sein; zu wissen, dass sie nur bis 21 Uhr geöffnet ist, genügt uns. Wenn aber seitens des Vorstands Maßnahmen erwogen werden, klingt das umständlich und bürokratisch. Und das Passiv ist Zeichen von PowerPoint-Platt: Bereichsübergreifende Kooperation weiter verbessert. Kein Subjekt. Kein Wer, Was, Wo, Wieviel, Womit.

Das Reich der Mitte: sprachlich Flachland
Synonyme sind schön, wenn sie Neues vermitteln. Das ist selten der Fall und alles Gewohnte klingt in unseren Ohren fast wie Kabarett: Dem Polizisten folgt der Ordnungshüter, China folgt das Reich der Mitte. Dass die Bankia die viertgrößte Bank Spaniens ist, weiß nicht jeder. Gut. Dass sie abwechselnd Geldhaus, Sparkasse, Geldinstitut, Geldkonzern sein soll, ist vorhersehbar, langweilig, unsachlich. Was ist ein Geldkonzern? Gleiches gleich benennen macht die Sache klar. Am Wahlabend halten wir es auch aus, dass recht oft von Wahl die Rede ist und man uns den Urnengang erspart.

Leerzeichen trennen – Bindestriche verbinden
Das wichtigste Zeichen im Satz ist unsichtbar: der Wortzwischenraum. Er musste erst erfunden werden. Alte Schriftkulturenschriebenalleszusammen­wasdieLesbarkeitnichtverbesserte. Das Leerzeichen gliedert und hilft dem Auge: hier beginnt, da endet das Wort. Der Bindestrich verbindet über diesen Zwischenraum hinweg. Immer dann, wenn das Auge über merkwürdige Silben-Kombinationen stolpern würde. Fehlt der Bindestrich, weil jemand die Regeln missachtet, dann wird es schwierig. Projektmitarbeiter von Data Warehouse und Business Intelligence Projekten: nichts, was man gerne liest. Right-Time-, Real-Time- und Active Warehousing und Bewertung. Wie bitte? Aber die E-Mail folgt der No-Spam-Policy. Wenn einen dann am selben Tag noch Nachrichten dieser Art erreichen, beschließt man eine Liste böser Wörter: „Ähnlich sieht es mit dem Retail Geschäft aus, hier sollte man die CPG Thematik und auch wieder, allerdings die Retail spezifische, Logistik kennen.“ (sic).

Fachchinesisch ist weder fachlich noch chinesisch
„Expert Integrated Systems – ein neuer Antrieb für einen smarten Planeten“ titelte die IBM in einer Anzeige im Spiegel, und sprach weiter von intelligenten Architekturen, Cloud Services, Scale-in-Architektur, Middleware, konvergenten IT-Lösungen, Patterns, Business Analytics, Cloud-Umgebungen, PureSystems. Das alles mache unseren Planeten smarter. Der Hauptsitz unseres Unter­nehmens ist in Nürnberg. Dort betreibt die Datev seit 40 Jahren ein Rechenzentrum für 40.000 Steuerberater. Ein Rechenzentrum heißt heute Cloud. Wenn das die Bedeutung von smarter ist, will ich auf einen anderen Planeten.

So. Und jetzt, bevor es jemand merkt, werde ich alle Inhalte und Aktivitäten in diesem Blog korrigieren.

Nicolas Bissantz

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