Die WiSo wurde hundert Jahre alt, feierte und lud zur Podiumsdiskussion ein: „Gründerszene – Zukunft der Wirtschaft“. Mit auf dem Podium war Dr. Nicolas Bissantz, der an der WiSo studierte, promovierte und dessen wissenschaftliche Arbeit die Grundlage seiner eigenen Gründungstätigkeit war. Murat Suner, selbst Absolvent der WiSo, sprach mit ihm.
Die WiSo ist der Fachbereich Wirtschafts‑ und Sozialwissenschaften der FAU, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Die FAU belegt im gerade veröffentlichten Reuters-Ranking der innovativsten europäischen Universitäten den zweiten Platz und verbesserte sich damit um drei Plätze im Vergleich zum Vorjahr.
Murat Suner (MS): Die Podiumsdiskussion fand im H6 statt, der jetzt „Bissantz-Hörsaal“ heißt. Wie fühlt es sich an, als erfolgreicher Gründer dort auf der Bühne zu stehen?
Nicolas Bissantz (NB): Wir saßen und ich glaube, es hat allen gefallen. Mit dabei waren Benjamin Bauer vom Nürnberger „Tech-Inkubator“ Zollhof, die junge Digitalpionierin Aya Jaff und Prof. Kathrin Möslein, die Nachfolgerin auf dem Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik I meines Doktorvaters, Prof. Peter Mertens. Interviewt hat uns die exzellent vorbereitete Wirtschaftsredakteurin der Nürnberger Nachrichten, Angela Giese. Es war erfrischend, dass wir alle Grund hatten, den jungen Leuten im Hörsaal sagen zu können: „Packt es an, die Zukunft ist großartig“.
MS: Aber die Zahl der Gründer in Deutschland geht zurück. Hat sich da in der jüngsten Vergangenheit etwas gedreht?
NB: Das weiß ich nicht. Benjamin sagte auf dem Podium dazu, dass die Zahl der Gründer gesamt abnimmt, die Zahl der Tech-Gründer aber zunimmt. Ich selbst wollte vor allem den wissenschaftlichen Spitzentalenten zurufen, dass sich das Akademische und das Unternehmerische sehr wohl unter einen Hut bringen lassen und man den Mut haben darf, seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen an den Märkten den Weg zu bahnen.
MS: Klingt zu schön, um wahr zu sein. Dir persönlich ist das sehr wohl gelungen, aber ist erfolgreiches akademisches Arbeiten wirklich ein Treiber für erfolgreiches Gründen?
NB: In den Jahren 1975 bis 2005 kam es bei meinem Doktorvater Prof. Mertens im Durchschnitt zu einer Ausgründung pro Jahr. Insgesamt entstanden je nach Zählung 28 bis 32 Betriebe mit rund 2.400 bis 3.100 Arbeitsplätzen. Es gab lediglich zwei Insolvenzen, beide mit nur geringen Schäden. Nach Erhebungen des Statistischen Bundesamts überleben hingegen weniger als 50 Prozent aller Unternehmensneugründungen die ersten fünf Jahre.
MS: Das ist beachtlich, sollte die Wirtschaftspolitik universitäre Ausgründungen stärker fördern?
NB: Mir hat seinerzeit geholfen, dass ich noch eine ganze Weile eine halbe Stelle am Lehrstuhl hatte. Ich betreute Studenten und Vorlesungen. Als junger Vater wusste ich es sehr zu schätzen, dass die Kosten für Wohnung und Windeln gedeckt waren. Eine Gründungssubvention, die ich damals in überschaubarem Rahmen annahm, erlebte ich hingegen als zweischneidig. Der Aufwand, den die geforderte minutiöse Dokumentation machte, stand in keinem Verhältnis.
MS: Was wünscht du dir stattdessen vom Staat?
NB: Für enorm wichtig halte ich eine im Grunde triviale Korrektur im Steuersystem: Man schuldet dem Finanzamt die Mehrwertsteuer auf den Umsatz und vorauszuzahlende Gewinnsteuern bereits lange, bevor man ebendieses Geld selbst von den Kunden in die Kasse bekommt. Bis wir entsprechende Reserven gebildet hatten, war das eine starke Belastung der Liquidität und mit hohen Risiken verbunden. Man kann durchaus Gewinne machen und dennoch zahlungsunfähig werden. Den Mut des Gründers so zu überfordern ist absurd. Leider fehlt der Politik der Einblick in derartige betriebswirtschaftliche Zusammenhänge.
MS: Was hat Dich dennoch motiviert, als junger Wissenschaftler nach der Promotion ins kalte Wasser der Gründung zu springen?
NB: Eine große Rolle spielte, dass ich es mir wegen der in Studium und Promotion erworbenen Kenntnisse zutraute, und das hat mit meiner Fächerwahl zu tun. Mindestens für Tech-Gründungen scheint mir die Wirtschaftsinformatik nicht nur wegen ihrer inhaltlichen Ausrichtung, sondern wegen ihrer inhärenten Interdisziplinarität sehr gut geeignet. Mich hat es auch später immer wieder weitergebracht, wenn ich mir nach einer Phase der Vertiefung auf einem Gebiet Kenntnisse auf einem völlig anderem angeeignet habe.
MS: Ist das nicht die Idee der gemischten Teams und des Design Thinking?
NB: Das hat Angela Giese auch gefragt. Die Antworten auf dem Podium gingen auseinander. Mir reicht Mischen nicht und wenn ich tatsächlich erst einen „User“ fragen muss, bevor ich merke, dass meine Kaffeemaschine oder mein Armaturenbrett Murks ist, dann sollte ich gar nicht erst designen. Ich halte die Zersplitterung der Fachgebiete und den Verlust des Generalistentums für problematisch. Und ganz pragmatisch: Wenn ich als Chef nicht durch eigenes Fachwissen beurteilen kann, ob meine Leute auf ihrem Gebiet exzellent sind, arbeite ich auf Dauer mit Blendern.
MS: Fand diese Haltung auf der Podiumsdiskussion Zustimmung? Kann man denn angesichts des fortschreitenden Wissens erwarten, dass man auf vielen Gebieten Bescheid weiß?
NB: Wie weit der Widerspruch ging, ließ sich in der Kürze der Zeit nicht ausloten. Das Schöne am unternehmerischen Handeln ist für mich, dass ich nicht auf basisdemokratische Willensbildung angewiesen bin. Was ich da postuliere, leben wir im eigenen Unternehmen – und behaupten uns damit in einem sehr wettbewerbsintensiven Markt.
MS: Apropos basisdemokratisch: Im Augenblick wird diskutiert, ob es sogar eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die Digitalisierung voranzubringen.
NB: Angela Giese erwähnte, dass „Digitalisierung“ manchen als neues Unwort gilt. Wir haben das auf dem Podium, wenn auch zu kurz, diskutiert.
MS: Was hast du dazu gesagt?
NB: Dass ich Modeworte vehement ablehne, weil sie überhöhte Erwartungen oder übertriebene Ängste auslösen. Trotzdem kam ich selbst auch deswegen zum „Data Mining“, weil ich dieses Modewort als junger Wissenschaftler so herrlich geheimnisvoll fand. Genervt vom Hype darum versuchte ich dann den Begriff „Datenmustererkennung“ dafür durchzusetzen. Mein Doktorvater prophezeite, dass das nicht gelingen würde, und behielt recht damit. Aktuell gilt für mich: Wenn man KI einfach nur Automation nennen würde, wäre uns klar, dass wir in Deutschland mithalten können.
MS: Nochmal zurück zu deinen Erfahrungen. Von außen kann man sich ja nicht recht vorstellen, dass wissenschaftliches Arbeiten auf die harte Auseinandersetzung an den Märkten vorbereitet. An einer Universität muss und darf doch Raum sein für Experiment und Irrweg. Manchmal ist es doch auch wichtig herauszufinden, was nicht funktioniert, oder nicht?
NB: Ich denke nicht, dass allzu viele Wirrköpfe ein Promotionsstudium abschließen. Man hat an der Universität ausreichend, soll heißen jahrelang, Zeit, seine Gedanken soweit zu ordnen, dass nur noch die klügeren davon den Weg aufs Papier finden. In meinem Fall war das wichtigste Regulativ das Konzept der Praxispartner. Man hätte sich seinem Doktorvater nicht unter die Augen getraut, wenn die kooperierenden Firmen die Forschungsergebnisse nicht mindestens abgenickt hätten.
MS: Alles in allem scheinst du zu sagen: Studiert, promoviert und macht euch selbständig – und das, obwohl doch gerne Beispiele für extrem erfolgreiche Unternehmer zitiert werden, die Studien‑ oder sogar Schulabbrecher sind. Hältst du die akademische Profilierung wirklich für so einen großen Erfolgsfaktor?
NB: Solche Beispiele sind interessant, weil sie selten sind. Erfolgreich sein setzt meines Erachtens voraus, seine Mission, seinen „Auftrag“ gefunden zu haben und den dann eisern zu verfolgen. Ehrlich gesagt, hat mir eine etwas längere Zeit an der Universität geholfen, diese Mission zu finden. Ein erstes Unternehmen haben wir beide damals ja als Studenten zusammen gegründet und waren klug genug, es rechtzeitig wieder zu lassen und weiter zu studieren.