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Uplift: Nur das Netto zählt


Ob die Kündigung von Abonnements abgewendet oder ob Werbesendungen verschickt werden sollen – die zielgerichtete Ansprache der Kunden eines Unternehmens sollte nicht dem Zufall überlassen werden. Selbst bei einer vermeintlich sachlich begründeten Vorgehensweise bei der Auswahl der Adressaten können logische Fallen lauern – wir zeigen, wie sie umgangen werden können!

Nehmen wir einmal vereinfachend an, dass in einem Verlag vier neue Zeitschriften A, B, C und D platziert wurden, die allesamt gleich große Auflagen und vergleichbare Konditionen wie etwa eine monatliche Erscheinungsweise besitzen. Die folgende Tabelle zeigt die Kündigungsquoten eines 3-monatigen Probeabos – damit ist hier der Anteil der Kunden gemeint, die sich nach Ablauf des Abos nicht zu einem Vollabonnement entschließen konnten. Offensichtlich schwankt die Quote von Zeitschrift zu Zeitschrift sehr stark. Wir nehmen hier vereinfachend an, dass die Entscheidung für ein Vollabo erst nach den drei Monaten gefällt wird, sodass die Entscheidung während der Laufzeit des Probeabos unbekannt bleibt.

Kündigungsquoten verschiedener Zeitschriften
Kündigungsquoten verschiedener Zeitschriften

Bei der zweiten Welle von Abos möchte das Churn-Management-Team nun proaktiv eingreifen. Angenommen, die Ressourcen seien beschränkt, sodass maximal 10 % der Abonnenten kontaktiert werden können – wem sollte die Aufmerksamkeit gewidmet werden? Sollte das Hauptaugenmerk der Zeitschrift A gelten, da hier ja besonders viel Optimierungspotential vorhanden ist? Sollte man alle Zeitschriften über das Gießkannenprinzip gleichmäßig beglücken und jeweils ein Zehntel der Abonnentenschaft jeder Zeitschrift kontaktieren?

Die Wahrheit ist, dass diese Frage ohne weitere Informationen nicht eindeutig beantwortet werden kann. Entscheidend ist, wie Kunden reagieren, falls sie kontaktiert werden. Es ist längst nicht gesagt, dass bei kontaktierten Abonnenten die Kündigungswahrscheinlichkeit sinken muss – im Gegenteil, sie kann sogar ansteigen. Es gibt insgesamt vier Konstellationen (die Begriffe wurden von Nicholas J. Radcliffe (*) eingeführt):

  • Lost Causes: Kündigen, egal ob angesprochen oder nicht.
  • Sure Things: Kündigen nicht, egal ob angesprochen oder nicht.
  • Sleeping Dogs: Hätten eigentlich nicht gekündigt, tun dies aber bei Ansprache!
  • Persuadables: Hätten eigentlich gekündigt, überlegen es sich aber bei Ansprache anders.

Dies bedeutet, dass logischerweise im optimalen Falle sämtliche Aufmerksamkeit der letzten Gruppe gelten sollte – nur hier wird ein positiver Effekt bewirkt. Eine Ansprache der ersten beiden Gruppen ergibt nur unnötigen Aufwand und eine Kontaktaufnahme der Sleeping Dogs ist sogar kontraproduktiv und die Kündigungsquote wird sich erhöhen. Es gibt nur einen Haken: Die Gruppenzugehörigkeit eines einzelnen Kunden ist während der Laufzeit des Probeabos nicht bekannt.

Wie stehen diese vier Gruppen im Zusammenhang mit den Daten aus der obigen Tabelle? Hier wurde ja kein Kunde kontaktiert und die 90 % beispielsweise der Zeitschrift A setzen sich deshalb zusammen aus den Lost Causes und den Persuadables – welche Anteile diese beiden Gruppen an den 90 % haben, ist jedoch nicht bekannt. Genauso weiß man, dass sich Sure Things und Sleeping Dogs die restlichen 10% teilen.

Warum sollte man sich beispielsweise um die Abonnenten der Zeitschrift A kümmern? Eine optimistische Sicht wäre die, dass die 90% Kündiger nur aus Persuadables bestehen und der Rest aus Sure Things. Bei Ansprache der Gruppe A könnte die Kündigungsquote auf 0 % gesenkt werden.

Gibt es Gründe, die Leser der Zeitschrift A lieber nicht zu kontaktieren? In der pessimistischen Sicht bestehen die 90 % nur aus Lost Causes. Hier sind Hopfen und Malz verloren, jeglicher Einsatz überflüssig, und die restlichen 10 % entpuppen sich womöglich als Sleeping Dogs. Die Kündigungsquote könnte trotz des erhöhten Einsatzes sogar auf 100 % ansteigen!

Wenn die CRM-Abteilung so vorgeht, dass besonders Abonnentengruppen mit latent hoher Kündigungswahrscheinlichkeit betreut werden, gibt es eigentlich keinen logischen Grund anzunehmen, dass diese sich für die empfangene Aufmerksamkeit besonders erkenntlich zeigen werden – hier ist wohl eher der Wunsch in Gestalt des vermeintlich großen Potentials Vater des Gedanken. Die konträre Annahme, dass eine hohe Kündigungsquote eher auf eine massive Präsenz von Lost Causes hinweist, klingt ja auch recht plausibel.

Aus logischer Sicht besteht jedenfalls kein zwingender Zusammenhang zwischen der Höhe der unbelasteten Kündigungsquote und dem Verhalten bei Kontaktierung und alle Szenarios zwischen der optimistischen und der pessimistischen Sichtweise können prinzipiell auftreten. Die einzige sichere Erkenntnis wäre die, Zeitschriftensegmente mit einer unbeeinflussten Kündigungsquote von 0 % nicht zu kontaktieren, um ja keine schlafenden Hunde zu wecken.

Bemerkung: Manchmal existieren Szenarios, bei denen die Gruppen Sure Things und Sleeping Dogs gar nicht vorkommen. Als Beispiel diene eine Postsendung, die in einem Test an eine zufällig ausgewählte kleinere Untermenge des Kundenstamms gesendet wird und in der ein Produkt angepriesen wird, das nur auf diesem Wege erhältlich ist. In der obigen Definition der vier Gruppen ersetze man “kündigen” durch “nicht kaufen” bzw. “nicht kündigen” durch “kaufen”:

  • Lost Causes: Kaufen nicht, egal ob angesprochen oder nicht.
  • Sure Things: Kaufen, egal ob angesprochen oder nicht.
  • Sleeping Dogs: Hätten eigentlich gekauft, tun dies aber nicht bei Ansprache!
  • Persuadables: Hätten eigentlich nicht gekauft, überlegen es sich aber bei Ansprache anders.

Hier wäre es dann statthaft, die Ergebnisse der Testaussendung direkt zu verwenden, um besonders vielversprechende Segmente zu definieren. Jemand, der keine Sendung erhalten hat, wird nichts kaufen, deshalb existieren keine Sure Things, und aus dem gleichen Grunde können keine Sleeping Dogs existieren, die ohne Zusendung gekauft hätten.

Der in der Literatur mit Uplift-Modellierung bezeichnete Ansatz versucht nun im Gegensatz zur direkten Modellierung der Kündigungsquote der kontaktierten Kunden, den Nettoeffekt einer Maßnahme vorherzusagen, also die Änderung der Kündigungsquote durch die Maßnahme in Abhängigkeit der gegebenen Inputgrößen. In unserem einfachen Beispiel ist die Zeitschrift der einzige Input.

Um nun den Nettoeffekt einer konkreten Ansprache schätzen zu können, bedarf es zufälliger Stichproben. Wir vernachlässigen für unser Beispiel wieder den genauen Zeitpunkt dieser Stichproben, da es wiederum möglich sein könnte, dass der Erfolg der Ansprache auch vom genauen Zeitpunkt abhängt. Wir nehmen somit vereinfachend an, dass jede Person fest zu einer der vier Kategorien gehört und nicht im Laufe des Probeabos – oder kurz danach – den Typ wechseln kann.

Für jede Zeitschrift wird eine Stichprobe gezogen und zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Abonnenten der ersten Gruppe werden kontaktiert, die der zweiten dienen als Kontrollgruppe. Alternativ könnte auch eine Stichprobe für die zu Kontaktierenden reichen, wenn angenommen werden kann, dass sich die Abonnenten der ersten Abowelle als Kontrollgruppe eignen.

Die Stichprobe ermöglicht somit die Schätzung des Effekts der Kontaktaufnahme als Differenz der Kündigungsquote der kontaktierten zur Kündigungsquote der nicht kontaktierten Abonnenten.

Der Effekt der Ansprache für die vier Zeitschriften
Der Effekt der Ansprache für die vier Zeitschriften

Offensichtlich sollten gemäß dieser Analyse sämtliche Ressourcen auf die Abonnenten der Zeitschrift B konzentriert werden, da nur hier ein positiver Nettoeffekt zu beobachten ist – die Ansprache der A-Abonnenten verursacht nur Kosten ohne sichtbaren Effekt und die Kontaktaufnahme der anderen beiden Gruppen ist sogar kontraproduktiv.

Ohne Ansprache hätten 50 % aller Abonnenten gekündigt; wären 10 % zufällig aus allen Abonnenten ausgewählt und kontaktiert worden, hätte es keinen (!) sichtbaren Effekt gegeben, da sich hier die – 20 % der B-Gruppe mit den jeweils + 10 % der Zeitschriften C und D aufheben. Nur wenn man sich auf zufällig ausgewählte 40% der B-Abonnenten gestürzt hätte – dies entspricht 10 % aller Abonnenten – hätte sich hier für B die Kündigungsquote auf 0.6 * 60 % + 0.4 * 40 % = 52 % reduziert. Die Gesamtkündigungsquote hätte dann in unserem fiktiven Beispiel von 50 % auf 48 % gedrückt werden können. Bei beliebiger Verfügbarkeit von Ressourcen hätte im besten Fall bei vollständiger Kontaktierung aller B-Abonnenten mit der beabsichtigten Maßnahme eine Gesamtquote von 45 % erreicht werden können. Natürlich haben wir hier in diesem Beispiel einen hohen Anteil von Sleeping Dogs angenommen, aber könnte diese Einschätzung nicht auch der Realität entsprechen?

Lassen sich aus den Kündigungsquoten der beiden Gruppen die Anteile LC, ST, SD und PE der vier Typen rekonstruieren? Im Falle der Zeitschrift B gelten folgende Gleichungen unter der Annahme, dass die Stichproben genügend groß gewählt wurden, dass die Anteile in den Stichproben mit vernachlässigbarem Fehler den Gesamtanteilen entsprechen:

  • Kontrollgruppe: LC + PE = 0.6 (I)
  • Kontrollgruppe: ST + SD = 0.4 (II)
  • kontaktierte Gruppe: LC + SD = 0.4 (III)
  • kontaktierte Gruppe: PE + ST = 0.6 (IV)

Aus den Gleichungen (I) und (III) lässt sich der Nettoeffekt der Aktion auf die Kündigungsquote einfach zu

  • Nettoeffekt = LC + SD – LC – PE = SD – PE = – 0.2

berechnen. Für den Erfolg einer Maßnahme ist allein die Differenz zwischen SD und PE verantwortlich. Einfach ausgedrückt: Die Aktion lohnt sich hier, weil mehr Kunden angezogen als abgeschreckt werden.

Es liegen zwar vier Gleichungen für vier Unbekannte vor, aber die Gleichung (IV) ergibt sich als (I) + (II) – (III). Eine eindeutige Lösung besteht also nicht.
Folgendes lässt sich aussagen: PE = SD + 0.2 und LC = ST = 0.4 – SD, wobei SD irgendwo zwischen 0 % und 40 % liegt. Da der Anteil der positiv beeinflussten Kunden um 0.2 höher liegt als der Anteil der negativ beeinflussten Abonnenten, reichen mögliche Konstellationen von 20 % Persuadables bei 0 % Sleeping Dogs bis 60 % Persuadables bei 40 % Sleeping Dogs. Der Rest – falls vorhanden – wird zwischen LC und ST gleichmäßig aufgeteilt. Die tatsächlichen Anteile ließen sich nur ermitteln, wenn der Kunde bei der Ansprache von sich aus die ursprünglichen Intentionen verriete.

Hier in diesem Beispiel war die Zeitschrift der einzige Input. Die Annahme ist, dass jede Zeitschrift einen bestimmten Kundentyp anzieht, und unterschiedliche Kundentypen weisen dann auch unterschiedliche Anteile an den vier Gruppen auf. Komplexere Modelle versuchen darüberhinaus, den Nettoeffekt einer Kontaktaufnahme durch Berücksichtigung explizit gegebener Inputgrößen wie etwa Geschlecht oder Alter des Kunden zu modellieren und vorherzusagen.

(*) Radcliffe, N.J. and Simpson, R.: Identifying who can be saved and who will be driven away by retention activity, Journal of Telecommunications Management, 2008, Vol. 1/2, pp 168-176.

Nicolas Bissantz

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