Um den reibungslosen Betrieb von maschinellen Anlagen zu gewährleisten, sollte rechtzeitig an die Bereitstellung der Ersatzteile gedacht werden. Werfen wir hierzu doch einmal einen Blick auf statistische Analysen, die die Planungssicherheit erhöhen!
Im allgemeinen Szenario betrachten wir ein einziges Bauteil, das bei Ausfall immer sofort ersetzt wird. Die zugehörige Maschine läuft im Dauerbetrieb und die benötigte Zeit für den Austausch sei vernachlässigbar. Üblicherweise ist die Lebensdauer keine fixe Größe, sondern unterliegt zufälligen Schwankungen.
Wir stellen nun Methoden der Predictive Analytics vor, mit denen sich beispielsweise voraussagen lässt, wie lange wohl eine bestimmte Anzahl von Ersatzteilen hält oder wie viele Ersatzteile wohl bis zu einen bestimmten Zeitpunkt verbraucht worden sind.
Die Verteilung der Lebensdauer eines einzelnen Teils kann üblicherweise mittels einer Dichtefunktion beschrieben werden. Diese könnte aufgrund theoretischer Überlegungen hergeleitet oder auf Basis bisher beobachteter Werte der Lebensdauer durch eine angepasste Dichte angenähert werden – häufig wird dazu beispielsweise die Weibullverteilung verwendet.
An dieser Stelle möchten wir jedoch das Szenario aus Gründen der Anschaulichkeit weiter vereinfachen und betrachten eine diskrete Lebensdauer. Wir befinden uns im Zeitpunkt t=0. Das hier betrachtete Bauteil weist eine Lebensdauer von minimal einem Tag und maximal fünf Tagen auf, mit den in der Tabelle gegebenen Wahrscheinlichkeiten. Es wird angenommen, dass der jeweilige Tag des Ausfalls noch vollständig absolviert werden kann.
Bemerkung: Genau genommen handelt es sich hier um eine Betriebsdauer. Wir könnten beispielsweise annehmen, dass die Lebensdauer bis zum Totalausfall sicher mehr als 5 Tage beträgt, aber nach jedem abgelaufenen Tag der Verschleiß kontrolliert und aufgrund hoher Qualitätsstandards das Teil bei zu hoher Abnutzung vorzeitig und nach dem fünften Tag auf jeden Fall ersetzt wird. Wir sprechen hier aber der Einfachheit halber immer von Lebensdauer:
Wir wollen nun untersuchen, wie lange ein bestimmter Vorrat an Bauteilen wohl reichen mag, wenn bei Ausfall ein Bauteil sofort durch ein identisches Teil ersetzt wird. Bezeichnen wir mit X(r) die Lebensdauer des r-ten Bauteils, dann gilt für den Ersatzzeitpunkt T(r) des r-ten Bauteils, dass er sich als Summe aller bisherigen Lebensdauern ergibt:
Da alle Bauteile als identisch angenommen werden, sind auch die Verteilungen der Lebensdauern aller Bauteile identisch: X(r) ~ X.
Schauen wir nun auf T2 = T(2), also den Tag, an dessen Ende das zweite durch das dritte Bauteil ersetzt wird. Obwohl wir uns im Zeitpunkt t = 0 befinden, tun wir zunächst so, als ob der Tag i des Ausfalls des ersten Bauteils bekannt sei. Die bedingten Wahrscheinlichkeiten P(T2=Zeit|T1=i), i=1,2,..,5, sehen alle genauso aus wie die ursprüngliche Wahrscheinlichkeitsverteilung, bloß sind sie jeweils um i Tage verschoben. Der Fall T2=Zeit|T1=i tritt genau dann ein, wenn das zweite Bauteil Zeit-i Tage im Einsatz ist: X(2) = Zeit-i. X(2) nimmt wieder Werte von 1 bis 5 an, d. h. bei gegebener Lebensdauer i des ersten Teils läuft die Gesamtzeit mit positiven Wahrscheinlichkeiten von i+1 bis i+5 – dies erklärt die beobachtete Verschiebung:
Die Grafik (klicken Sie bitte auf dieselbige für eine vergrößerte Darstellung!) zeigt in den Spalten P(T2=Zeit|T1=1) bis P(T2=Zeit|T1=5) die Wahrscheinlichkeiten für die Gesamtanzahl der Tage bis zum 2. Austausch – wenn der Tag des 1. Austausch als bekannt angenommen wird. Leider befinden wir uns noch im Zeitpunkt t=0 und können den Tag des ersten Ausfalls somit gar nicht kennen.
Um nun die unbedingten Wahrscheinlichkeiten bis zum 2. Austausch zu erhalten, müssen alle Möglichkeiten durchgespielt werden. Der zweite Austausch kann frühestens nach Tag 2 erfolgen; dies passiert, wenn beide Bauteile jeweils nach dem ersten Betriebstag getauscht werden. Die Wahrscheinlichkeit hierfür beträgt P(T2=2) = 0.2 * 0.2 = 0.04.
Ein zweiter Austausch nach Tag 3 passiert entweder dann, wenn das erste Bauteil einen Tag und das zweite Bauteil zwei Tage hält – oder genau im umgekehrten Fall, d. h. das erste Bauteil hält zwei Tage und das zweite nur einen Tag. Deshalb lässt sich P(T2=3) zu 0.2 * 0.1 + 0.1 * 0.2 = 0.04 berechnen.
Es lässt sich eine rekursive Formel erstellen. Sei die Wahrscheinlichkeitsfunktion P(T(r)=i), dass der Austausch des r-ten Teils am Ende des Tags i stattfindet, bereits berechnet. Für das erste Bauteil (r=1) sind diese Wahrscheinlichkeiten direkt durch P(X(1)=i) gegeben.
Die Wahrscheinlichkeit des r+1-ten Ausfalls am Tag s berücksichtigt alle möglichen Kombinationen T(r) und X(r+1), die in der Summe s ergeben. Da alle X(r) identisch verteilt sind wie X, wählen wir die verkürzte Schreibweise mit X:
Die in der Formel gegebene Darstellung nennt man auch die Faltung der zwei diskreten Verteilungen von T(r) und X. Alle Wahrscheinlichkeiten derjenigen Paare, die eine feste Summe ergeben, werden aufaddiert.
Diese Formel lässt sich nun wiederholt rekursiv anwenden, um die Wahrscheinlichkeitsfunktion für die Gesamttage bis zum dritten, bis zum vierten usw. Austausch zu berechnen. Die folgende Tabelle wurde iterativ erstellt und zeigt in der letzten Spalte, wie lange sechs Ersatzteile insgesamt halten werden.
Nun lassen sich mit dieser Tabelle einige Fragen beantworten, wie z.B. diese:
- Mit welcher Wahrscheinlichkeit reichen die sechs Ersatzteile mindestens 22 Tage? Durch Addition der Werte in der letzten Spalte für Zeit=22, 23, …,30 ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von 32.9 %.
- Wie lange werden sechs Ersatzteile im Mittel halten? Die Bildung des Erwartungswertes in der sechsten Spalte [=Summe über Zeit von Zeit*P(T6=Zeit)] führt zu E(T6)=19.8. Dies ist nicht überraschend, da ein Teil im Mittel 0.2 * 1 + 0.1 * 2 + 0.1 * 3 + 0.4 *4 + 0.2 * 5 = 3.3 Tage hält (19.8 ist 6 * 3.3)
Betrachtet man die Verläufe der Wahrscheinlichkeitsfunktionen der Gesamtdauern T(r) bis zum r-ten Austausch, fällt auf, dass die Gestalt von P(T(r)=Zeit) mit wachsendem r immer mehr an die Glockenform einer Normalverteilung erinnert, hier jedoch in einer diskretisierten Variante, obwohl die Wahrscheinlichkeitsfunktion der Lebensdauer eines einzelnen Teils nicht besonders symmetrisch aussieht. Diese Tatsache ist keine glückliche Fügung, sondern ergibt sich zwingend aus dem Zentralen Grenzwertsatz.
Wir hatten bereits festgestellt, dass die Erwartung der Lebensdauer eines Bauteils 3.3 Tage beträgt. Analog lässt sich die Varianz zu exakt 2.01 berechnen.
Für die Gesamtlebensdauer bis zum r-ten Austausch verwenden wir somit eine Normalverteilung mit Erwartung 3.3 * r und Varianz 2.01 * r, da sich Erwartungen und Varianzen bei unabhängigen Zufallsvariablen einfach addieren. Nun möchten wir etwa die Wahrscheinlichkeit annähern, dass der 6-te Austausch irgendwann an den Tagen 12 bis 22 stattfindet. Wir betrachten eine normalverteilte Zufallsvariable Z~N(19.8,12.06) mit passender Erwartung und Varianz und berechnen P(11.5<=Z<=22.5) zu 0.773. Der exakte Wert, der aus der Tabelle über Summation berechnet werden kann, beträgt 0.766. D. h. wenn wir daran interessiert sind, wie lange 1000 Ersatzteile halten werden, können wir auch getrost die Normalverteilung zur Approximation verwenden und müssen nicht zwingend auf die rekursive Berechnung zurückgreifen.
Bisher hatten wir die Anzahl der Teile vorgegeben und die Wahrscheinlichkeiten bestimmter Gesamtlebensdauern betrachtet. Es gibt jedoch auch eine duale Sichtweise, bei der der Tag vorgegeben wird und eine mögliche Frage lauten kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit gerade das r-te Ersatzteil im Betrieb ist.
Beispielsweise wird am ersten Tag garantiert das erste Bauteil verwendet. Am zweiten Tag ist das erste Bauteil weiterhin in Verwendung, falls es nach dem ersten Tag nicht ausgetauscht wurde, d.h. mit Wahrscheinlichkeit 0.8. Das zweite Bauteil ist am Tag zwei mit der Restwahrscheinlichkeit von 0.2 im Betrieb. Am Anfang kommt man noch mit einfacher Kombinatorik weiter, aber wie sieht es allgemein am Tag i aus?
Sei N(i) die Nummer des Teils, das an Tag i verwendet wird. Es gibt hier den einfachen Zusammenhang, dass am Tag i mindestens bereits das r-te Teil in Betrieb ist, wenn der (r-1)-te Austausch spätestens am Ende des Tags i-1 stattgefunden hat. Es gilt also P(N(i)>=r)=P(T(r-1)<=i-1). Hieraus lässt sich für P(N(i)=r) folgende Formel ableiten:
Die Formel besagt nichts anderes, dass von den möglichen Verläufen, in denen der (r-1)-te Austausch bereits stattgefunden hat, diejenigen wieder abgezogen werden müssen, bei denen auch der r-te Austausch bereits beobachtet wurde. Es bleiben diejenigen Fälle übrig, bei denen am Tag i das r-te Teil läuft.
Beispielsweise lassen sich für den 6. Tag folgende Wahrscheinlichkeiten berechnen:
An Tag 6 wird man somit am häufigsten mit einer Wahrscheinlichkeit von 69 % das zweite Teil antreffen – das erste Teil ist ja auf jeden Fall bereits außer Betrieb und der unglückliche Fall, dass die bisherigen Teile nur jeweils einen Tag hielten und somit bereits das sechste Teil verwendet werden muss, ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.032 % sehr selten. Die Erwartung der Teilenummer an Tag 6 beträgt ca. 2.4.
Es lässt sich auch eine rekursive Formel ableiten, die die erwartete Nummer an Tag i durch die Erwartungen an den vorangegangenen Tagen ausdrückt. Die Herleitung einer Formel für die direkte Berechnung der erwarteten Nummer am Tag i gelingt nur für besondere Konstellationen. Asymptotisch gilt aber, dass für große Werte i des betrachteten Tages durchschnittlich 1/3.3 Austauschvorgänge pro Tag vorliegen werden.
Einen haben wir noch: Der Produktionsleiter erscheint tagsüber in unregelmäßigen, größeren Zeitabständen, z.B. alle paar Wochen, merkt sich die laufende Nummer des gerade aktuellen Ersatzteils und lässt sich später die Lebensdauer des ausgewählten Teils nennen. Erstaunt stellt er fest, dass die von ihm inspizierten Teile im Schnitt ca. 3.9 statt 3.3 Tage im Betrieb waren. Wurden hier ohne sein Wissen andere, wohlmöglich teurere Bauteile verwendet? Erzeugt seine bloße Anwesenheit eine heilende Wirkung auf den Maschinenpark?
Die Antwort ist, dass er einem Trugschluss aufgesessen ist. Die in der ersten Tabelle gegebenen Wahrscheinlichkeiten gelten für jede beliebige Teilenummer. Ein Teil, das länger hält, wird jedoch bei einem zufällig ausgewählten Tag auch mit einer größeren Wahrscheinlichkeit angetroffen werden. Bei der Auswahl über den Tag werden somit die langlebigen Ersatzteile bevorzugt und diese Verzerrung in der Stichprobe zieht dann die beobachtete durchschnittliche Lebensdauer nach oben.