„Lob der Klarheit"
Dr. Nicolas Bissantz im Porträt
Murat Suner über Dr. Nicolas Bissantz in der TRAFFIC News to-go #5
Nicolas Bissantz ist unbequem. Moden gegenüber sogar unerbittlich. Ein Mann, der es sich zur Mission gemacht hat, die richtigen Methoden zu finden. damit wir alle verantwortlich mit einem heiligen Gut umgehen: Information.
Bissantz ist nicht zimperlich. In seinem Blog setzt er sich Teufelshörner auf, stülpt sich eine Papiertüte über den Kopf, lässt sich die Brust von einem Trendpfeil durchbohren oder hantiert mit einem blutigen Schlachtermesser. Bissantz scheut weder Drama noch Selbstironie: In dramatischen Bildern und manchmal Worten beleuchtet er den Umgang mit Information – in den Medien, in der Wirtschaft, im Alltag.
Und wenn er darauf verweist, welche Rolle Software dabei spielt, dann stellt er sich der eigenen Verantwortung: Bissantz ist Gründer und Chef eines Unternehmens, das Software entwickelt. Nachgerade ketzerisch muten die Fragen an, die er zur Sprache bringt: „Können Computer richten, was Manager nicht mehr hinbekommen?“ Seiner Ansicht nach will ein Teil der Softwarebranche dies seit einiger Zeit Glauben machen. Business Intelligence nennt sie das, nicht ganz zufällig in sprachlicher Nähe zur CIA, deren abenteuerlicher Aufklärungsarbeit Blockbusterfilme sich gern widmen. Mit Software sollen Unternehmer und Manager den Überblick bewahren, Chancen und Risiken abwägen, die richtigen Entscheidungen treffen, Krisen verhindern. Dazu erstellen mittlere und große Unternehmen Berichte, meist bergeweise. Die zeigen Zahlen und Diagramme; Zahlen nicht allzu viele, Farben dafür umso mehr.
Wer einen Bericht bekommt, hat es geschafft: Er darf etwas entscheiden und steht auf der Karriereleiter einen Schritt über denen, die keine Berichte bekommen. Und er muss, so vermittelt es das Marketing jener Softwarehersteller, deswegen ganz behutsam behandelt werden. Schließlich kommt es doch vor allem darauf an, dass „alles im grünen Bereich“ ist – und das darf dann auch so dargestellt werden: mit einer grünen Ampel, einem gestreckten Daumen oder einem Smiley. Und so gerät eine umgangssprachliche Metapher zu einem Instrument für Managemententscheidungen – von denen nicht selten viel Geld, Arbeitsplätze, Existenzen abhängen.
Mit diesen Gepflogenheiten und Grundannahmen der Szene steht Bissantz auf Kriegsfuß, wie man regelmäßig in seinem Blog nachlesen kann. Statt einer Informationsflut sieht er in den meisten Unternehmen nur eine große Dürre: Manager dürsten nach Information, aber ihre Berichte liefern diese nur tröpfchenweise. Die angeblich so begrenzte Aufnahmefähigkeit des Menschen will Bissantz nicht gelten lassen: „Das Auge-Hirn-System verarbeitet Unmengen an Information, unablässig, ohne dass wir darunter zusammenbrechen. Allenfalls dem Gedächtnis muss man ab und zu auf die Sprünge helfen.“
Muster erkennen
Die Finanzkrise hat die Frage nach der richtigen Rollenverteilung zwischen Mensch und Maschine neu aufgeworfen. Was hilft der schönste Bericht und die beste Darstellung, wenn die dahinterstehenden Annahmen und Erwartungen der Realität nicht mehr standhalten? Wer hätte lesen und akzeptieren wollen, dass man nur noch mit einer Rendite von zwei Prozent auf der sicheren Seite ist? Bissantz verlangt deswegen immer wieder: Zurückhaltung, Skepsis, Bescheidenheit. Auch wenn er dazu zu unbescheidenen Mitteln greifen muss.
Nur wer die Grenzen des Computers kennt, kann ihm innerhalb dieser Grenzen auch vertrauen. Der Schachweltmeister Garri Kasparow scheiterte an der Maschine, weil er sie überschätzte: 1996 verlor er gegen Deep Blue, den berühmten Schachcomputer der IBM, der schon damals in der Lage war, 126 Millionen Stellungen pro Sekunde zu berechnen. In Kasparows Kalkül hatte die Vorstellung keinen Platz, dass ein solch gewaltiger Computer die Möglichkeit übersehen könnte, dem Gegner durch Dauerschach ein Remis aufzuzwingen.
Rollen anders verteilen
Vielleicht ist es das, was Bissantz meint: Wir sollten unseren Geist nicht nach Computern richten, sondern Computer nach unserem Geist. Im Jahr von Kasparows Niederlage gründete Bissantz sein Unternehmen. Davor studierte er BWL in Trier, München und Nürnberg und promovierte bei Peter Mertens, dem Begründer der Wirtschaftsinformatik. Von ihm hat er besonders das interdisziplinäre Arbeiten und Denken aufgegriffen: Mertens hat vor Jahrzehnten die Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologie für die Wirtschaft erkannt und sich dafür eingesetzt, Informations- und Wirtschaftswissenschaften zusammenzubringen. Bei Bissantz & Company passiert das jeden Tag – in einer Rollenverteilung, die nicht eben typisch ist für die Branche: Bissantz ist überzeugt, dass Software nicht von Programmierern gemacht werden darf. Nur die Bedürfnisse von Managern zählen; und die sind relative Laien im Umgang mit Computern und dürfen es auch sein. Ein Team zu formen, das diese Ausrichtung akzeptiert, hat einige Jahre Aufbauarbeit gekostet. Heute arbeiten rund 80 Menschen bei Bissantz; mit Software von Bissantz arbeiten prominente Unternehmen wie Bayer, Leica, Nordsee, Porsche und
andere, die ihr Geschäft ernsthaft betreiben und nicht nur von Quartalsergebnissen getrieben sind.
Die Krise hat bei vielen den Eindruck hinterlassen, man stehe einer von der Realität abgekoppelten Wirtschafswelt gegenüber, die mit der eigenen nichts mehr zu tun habe. Der Fachfremde hat es schwer, die komplizierten Zusammenhänge zu durchschauen, und ist verstört von dem glatten Auftreten mancher ihrer Protagonisten, ihrer Aura der Unantastbarkeit, der beklemmenden Kühle ihrer juristischen Rhetorik. Und damit einhergehend die Verwendung eines außerweltlich erscheinenden Fachvokabulars, hinter dem man sich verschanzt. Nicolas Bissantz versteht Fachchinesisch, spricht es aber nicht – sondern Klartext. Aura: ja, Unantastbarkeit: nein. In seinem Blog geht er mit der Informationskultur, der eigenen Branche und ihren Produkten hart ins Gericht, beispielsweise dann, wenn er eine Renaissance des Papiers kommen sieht (während viele dessen Untergang herbeireden wollen) und die Zeitungen daran erinnert, was sie dem Internet voraushaben.