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Wie gut sieht man von oben?

Berlin lässt mich noch nicht los. Wir gehen nochmal in den Ballsaal und schauen hinauf zur inzwischen imaginären Galerie. Dort standen früher Bankdirektoren. Ist Aufsicht gleich Draufsicht? Was ist die richtige Perspektive für den Blick auf Daten?

Dass wir so gerne im Ballsaal des Hotel de Rome tagen, hat mit der Architektur des Saals zu tun. Hinter den heute geschlossenen Bögen im ersten Stock lag früher eine Galerie. Von dort hatten die Direktoren der ehemaligen Bank freien Blick auf das Geschehen in der Schalterhalle. Wir wissen nicht, ob die Bankdirektoren das genutzt haben. Als Kunde einer Bank wünschen wir es uns spätestens dann, wenn wir in einer Schlange stehen. Diese Aufsicht durch Draufsicht beschäftigt mich, seit wir 2007 zum ersten Mal den Ballsaal nutzten.


Der Ballsaal des Hotel de Rome früher, als er noch die Schalterhalle einer Bank war, und heute. Sollten wir häufiger direkt aufs Geschehen blicken?

Mindestens das Tagesgeschäft der Bank ließ sich mit bloßem Auge erfassen. Frequenz, Abläufe, Auslastung, Bediendauern, Kundenverhalten, Serviceniveau offenbarten sich durch schieres Hinsehen. Mit ähnlichen Gedanken im Kopf brachte ich letztes Jahr mein Auto in die Werkstatt. Der Geschäftsführer lud mich damals auf einen Kaffee ein und ich berichtete ihm von meinen Überlegungen. Er erzählte mir, dass er früher aus einem verglasten Büro einen ähnlichen Blick in Werkstatt und Verkaufsraum hatte und sich allein dadurch weitaus besser informiert fühlte, als es heute die Autohaus-Standardsoftware zu tun vermag. Sein heutiges Büro ist komfortabler, liegt aber am Rand des Areals. Dort fühlt er sich isoliert und muss „Management by walking around“ betreiben. Dafür findet er seiner Ansicht nach aber viel zu selten die Zeit.

Reinhold Messner, dieses Jahr unser Gast im Ballsaal, sagte zu Aufsicht durch Draufsicht: „Dass man von oben besser sieht, das gilt beim Bergsteigen nicht“. Der Blick in die Steilwand eines 8000ers offenbare von oben nur düstere Finsternis. Uns Zuhörern verursachte allein die Vorstellung des dazu nötigen Vorlehnens und Hinabspähens bereits Gänsehaut. Sieht er die Wand aus einem „Respektsabstand“, sagt Messner, dann zeigen ihm Erfahrung und Intuition den richtigen Weg für Auf- und Abstieg, und sei die Wand 5000 Meter hoch.

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Gunnar Reddemann von der Paul Gerhard Diakonie machte deutlich dass nur Manager, die auch für die Details ihres Geschäfts den rechten Blick haben, ernst genommen werden und führen können.

Unsere Referenten in Berlin, Uli Drautz von der Bechtle AG oder Gunnar Reddemann von der Paul Gerhard Diakonie, sagen dazu, dass das Management nur mit ausreichendem Detailwissen ein ernstzunehmender Gesprächspartner für die zu führenden Einheiten ist. Detail bedeutet dabei unter anderem, dass Management und operative Einheiten über dieselben konkreten Ergebnisobjekte sprechen, z.B. also über Diagnosen als Kostentreiber für Materialverbräuche, wie Reddemann ausführte.

Gestern besuchte mich Reddemann. Wir setzten die Diskussion fort und ließen uns dabei von Messners Blick auf den Berg inspirieren. Wenn wir mit den Ergebnissen von Geschäftstätigkeit nicht zufrieden sind, hat uns der zurückgelegte Weg nicht ans gewünschte Ziel gebracht. Versierte Manager schauen sich die Abläufe in ihren Unternehmen an. Vor Ort, mit bloßem Auge. Aufsicht durch Draufsicht eben. Aber sie können nicht dauernd überall sein. Reddemann benannte die Engpassressource, die im Krankenhaus den Deckungsbeitrag am stärksten beeinflusst. Dort die Abläufe zu beleuchten, wäre eine Managementaufgabe, die kein Krankenhausdirektor langweilig fände, egal wie sehr man ins Detail ginge. Und wenn an den Abläufen etwas zu ändern wäre, dann nur im Zusammenspiel von Ärzteschaft und Management. Zarte Hinweise aus dem Controlling wären dafür nicht ausreichend.

Wir überlegten weiter und kamen zu dem Schluss, dass in jedem Unternehmen Prozessdaten existieren, die bei geschickter Aufbereitung und Darstellung den realen Blick eines Managers vor Ort mindestens ergänzen, oft ersetzen und sogar übertreffen können, weil Längs- und Querschnitt möglich sind. Das wäre dann der Blick auf den Weg und nicht mehr nur auf die Abweichung vom Ziel.

Nachmittags holte ich im selben Autohaus mein frisch bereiftes Auto ab, in dem mir der Geschäftsführer von seinem Blick aus dem früheren Glasbüro erzählt hatte. Er ist inzwischen in ein anderes Haus gewechselt. Am Empfang quittierte ich die Rechnung. Mit dem Werbekugelschreiber eines Abschleppdienstes. Ich sah mich um, alle drei Damen am Empfang nutzten diese Art Kuli. Ich war entsetzt. „Das geht doch nicht, dass Ihr nicht die Stifte Eurer Marke nutzt“, erklärte ich meinen Gesichtsausdruck. „Und dass man Eure Autos je abschleppen müsste, davon will ich schon gar nichts wissen.“ Wenn das mal der Chef gesehen hätte.

Nicolas Bissantz

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