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Steuermann, lass die Wacht - Steuermann, pass uns an

Im Business Intelligence sieht man viele Steuermänner am Werk. Wer steuert eigentlich – und was? Passen wir uns nicht vielmehr ständig nur an? Notizen aus einem Gespräch über unser Verständnis von Führungsinformation.

Vorletzten Freitag saß ich mit einer langjährigen Kundin beim Mittagessen. Sie ist ein Spitzentalent, deswegen hat sie es als Frau bis in die Führungsriege eines sehr großen Dax-Unternehmens geschafft. Nach langen, harten Jahren des Aufstiegs spürt sie mitunter Ernüchterung. „Wir bekommen ständig neue Vorschriften und damit Verantwortung entzogen, und das auf einer sehr hohen Ebene des Unternehmens“, sagte sie nachdenklich.


Was in Räumen wie diesem entschieden wird, hat viel mit Führung, aber wenig mit Steuerung zu tun. Und Steuerung ist vor allem Anpassung – auf jeder Ebene, jeden Tag.

Wir durchleuchteten die Hintergründe, so gut wir das angesichts einer Sardine im Seetangmantel konnten, und stellten fest, dass es nicht die Unternehmens­leitung ist, die derlei hat entstehen lassen, sondern ein gewaltiger Verwaltungs­apparat, der im Zusammenspiel mit Öffentlichkeit und Politik auf kafkaeske Weise selbsttätig agiert und auch den nächsten und übernächsten und überübernächsten Vorstand unverändert überstehen wird.

Das brachte uns über sautiertem Steinbutt an Artischocke zu der Frage, wer das Riesenunternehmen eigentlich steuert. „Der Vorstand ist es nicht“, sagte meine Kundin wie aus der Pistole geschossen. Wir sahen uns erschrocken an. Ist das wirklich so? Kommt dort, wo täglich entschieden wird, gar nichts mehr an von den Vorgaben der Unternehmensleitung? Wird nicht vielmehr dort entschieden, wo auch das Geld verdient wird – täglich, unmittelbar, in kleinen Häppchen? Wir wagten einen Blick in andere Disziplinen.

Über lauwarmen Lachs fragten wir uns evolutionsbiologisch, ob die Natur als unser größter Widerpart jemals Grund hatte, etwas anderes zu belohnen als unsere Anpassungsfähigkeit an Umstände. Die Vorstellung, wir könnten aktiv etwas steuern, passt da nicht recht hinein. Was können wir denn steuern, und wie? Ein Segelboot etwa können wir nur unter Berücksichtigung der Winde, der Strömung, des Wellengangs und unter dauernder Korrektur dorthin bringen, wo es hin soll. Märkte, Kunden, Wettbewerber, Politik, Rohstoffpreise sind sehr starke Winde und Wellen für ein Unternehmen.

Wir waren uns über Hase, der laut Maître freiwillig an die Küchentür kommt, einig: Angesichts dieser Kräfte bleibt zu steuern wenig übrig. Für wen auch immer. Und im Übrigen schienen uns nach dem ersten Glas Hochheimer und erst recht dem zweiten Glas österreichischem Sauvignon Blanc – „Don’t cry“ hieß er – die Dinge eher so zu liegen: Die Bedeutung der Steuerung nimmt in der Hierarchie von unten nach oben ab, nicht umgekehrt. Was unten vertan ist, lässt sich oben nicht mehr richten.

Konsequenterweise kommt der Begriff der Unternehmenssteuerung in der Betriebswirtschaftslehre kaum vor. Unternehmensführung heißt es da. Das schließt mit ein, auf allen Ebenen eines Unternehmens immer wieder klar zu machen: Es überlebt, wer sich anpasst. Beim Entrecôte und Wein aus Argentinien folgerten wir: Die große Macht, die die Unternehmensleitung hat, hat sie, weil sie ein Entlohnungssystem zu errichten und zu vermitteln hat, das Anpassungsfähigkeit belohnt, dazu motiviert und inspiriert.

Kurz vor dem Kaffee, über dem glasierten Flan an frischen Waldfrüchten, urteilten wir: Wir sind bereits sehr weit gekommen, wenn es um das Sezieren des Ist-Zustandes eines Unternehmens geht. Jedoch liegt noch einiges vor uns, bis daraus klar genug wird, wer was als nächstes zu tun hat. Dazu braucht man vor allem Kennzahlen, an denen die Anpassungsleistung des Unternehmens gemessen wird. Zu wenige Kennzahlen bilden die Adaptions­leistung des Unternehmens ab. Welche Chancen gab es – und wurden sie genutzt?

Der Maître offerierte Pralinen. Wir hielten es kurz mit ihnen. Um diese Zeit würden die Straßen noch frei sein. Daran passten wir uns an.

Nicolas Bissantz

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