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Die ersten Sparklines der Welt – fast

Die Welt hat sich an Sparklines versucht. Herausgekommen sind Schrumpfgrafiken mit zweifelhaftem Bezug und problematischer Skalierung. Schade. Die gute Nachricht: Deswegen ist das Rennen um die ersten Sparklines in einer deutschen Tageszeitung noch offen.

Vor gut vier Wochen kam ein Kollege aufgeregt herein. „Die Welt hat die ersten Sparklines gedruckt“, freute er sich. Und ich mich mit ihm. Mit steigender Spannung beugten wir uns über die druckfrische Ausgabe der Welt vom 16.03.2010. Je länger wir hinsahen, desto länger wurden auch unsere Gesichter. Warum?

Nicht allein die Höhe zählt, sondern auch die Beständigkeit. Tabelle: Börsenkurse, Dividenden, Verlauf, Dividendenrendite, Dividendenkontinuität. - Quelle: Die Welt, 16.03.2010, Seite 15.
Für die 30 Aktien im Dax zeigt diese Tabelle: den Kurs vom 15.03.2010, die Dividende in Euro für die Jahre 2004 bis 2009, einen Verlauf, die Dividenden- rendite in Prozent und die Dividendenkontinuität. Quelle: Die Welt, 16.03.2010, Seite 15. – Anklicken zum Vergrößern.

Darum:

  1. Wir zeigen Zeitreihen nicht freiwillig so klein, dass man sich unwillkürlich eine neue Lesebrille wünscht. Wenn es uns um die Einzelwerte geht, nehmen wir eine Tabelle. Wenn es uns um die Entwicklung im Detail geht, nehmen wir ein herkömmliches Zeitreihendiagramm. Wenn es uns vor allem um den letzten aktuellen Wert geht, der aber nicht ohne Kontext bleiben soll, dann nehmen wir eine Sparkline.Die Welt konnte sich nicht entscheiden. Wir sehen die Einzelwerte für die absoluten Dividenden. Daneben dieselben Werte als Miniliniendiagramm. Dann die spannende Rendite in Prozent. Genau zu der hätten wir jetzt gerne die Historie als Sparkline. Die fehlt aber.
  2. Wenn wir eine Sparkline malen, dann schreiben wir einen Referenzwert hin, der den letzten Punkt der Reihe quantifiziert. Dann nämlich kann das passieren, was Sparklines so faszinierend macht: Wir beziehen alle vorhergehenden Punkte auf diesen Wert und verstehen ausreichend genau, in welchem Verhältnis die Einzelwerte zueinander stehen.In der Welt habe ich eine Weile gesucht, bis ich verstanden habe, welche Werte in der Reihe eigentlich gemeint sind. Hoffnungsfroh hielt ich die Dividendenrendite in Prozent zunächst dafür. Dann hätte nämlich auch der vertikale Vergleich der Reihen untereinander gepasst: flache Reihe, wenig Rendite. In der Darstellung der Welt sieht man das Problem: eine hohe relative Rendite kann in einer ziemlichen flachen Reihe stecken. Siehe z. B. Telekom und Post.
  3. Weil Sparklines so schrecklich klein sind, passt wenig daran, daneben, darunter, darüber. Sparklines sind kein Quiz. Wir wollen Sparklines lesen, nicht entziffern. Wir wollen das Muster in der Reihe sehen und nicht Einzelwerte raten. Wir wollen verstehen, nicht enträtseln. Jeder, der Sparklines entdeckt und davon fasziniert ist, möchte gerne noch etwas beitragen, etwas verbessern, verfeinern, verschönern. Schwierig.Das Hilfsraster der Welt jedenfalls hilft nicht. Weil man nicht weiß, was der Rasterabstand bedeutet, zweimal nicht. Die kontraststarken Zebrastreifen der Tabelle helfen übrigens auch nicht.
  4. Ein bisschen traurig macht mich die Ampel. Es gibt Leute, die in der Ursache der Finanzkrise mafiaähnliche Mechanismen am Werk sehen. Die Reduktion von Bewertungen auf vermeintlich eindeutige Signale, so wie sie z. B. von den Ratingagenturen kamen, ist Teil davon.Liebe Welt: Was meint Ihr mit Kontinuität? Und warum ist die Ampel grün, wenn in der Vergangenheit die Straße frei war? Darf ich jetzt drauflos brausen? Oder sollte ich trotzdem noch mal schauen, ob quer was kommt? Wer auch immer das gemalt hat, hat sich weit vorgewagt. Wir wollten alle ein bisschen vorsichtiger mit Anlagen werden, oder?

Wer länger über die Tabelle nachdenkt, kommt nicht nur über die Gestaltung ins Grübeln. Für absolute Dividenden interessieren sich Großaktionäre, die ihre Aktien sehr langfristig halten und Kursgewinne ausklammern, weil sie ihre Aktien ja nicht verkaufen wollen. Alle anderen interessieren sich für die relative Dividendenrendite. Die wiederum hängt davon ab, zu welchem Kurs man die Aktie gekauft hat. Jeder andere Kurs ist daher nur eine Hilfsgröße. Wegen der im Allgemeinen stark schwankenden Aktienkurse ist Kontinuität daher ein Kriterium, das eine Konnotation hat, die es nicht verdient. Der normale Aktionär wird nicht als kontinuierlich erleben, was kontinuierlich daher kommt.

Über der Tabelle steht: „Nicht allein die Höhe zählt, sondern auch die Beständigkeit.“ Für Nicht-Großaktionäre ist das irreführend. Mir wäre lieber, es stünde darüber: „Wir wissen auch nicht, wie morgen die Kurse sind. Seien Sie vorsichtig.“

Nicolas Bissantz

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