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Palast-Evolution

Man muss kein Guerillacontroller mehr sein, um Sparklines und Grafische Tabellen zu nutzen. Die Avantgarde hat sich etabliert. Wo und wofür also wird jetzt gekämpft? Die Gespräche und Vorträge anlässlich unseres Executive-Forums am Gendarmenmarkt in Berlin geben eine Ahnung davon.

Letzten Montag fand die dritte Auflage unseres Executive-Forums in Berlin statt. Im wunderschönen Delphinium des Sofitel am Gendarmenmarkt. Früher tagten dort die evangelischen Bischöfe und mindestens missionarisch ging es auch bei uns zu. Das hat damit zu tun, dass Software zur Entscheidungsunter­stützung nicht einfach nur Eigenschaften und Funktionen bereitstellt, sondern Haltungen und Überzeugungen befördert, widerspiegelt, unterstützt, suggeriert oder auch verhindert:

Executive-Forum "Vom Guerillacontrolling zur Management Intelligence" am 25.05.2009 im Delphinium des Sofitel am Gendarmenmarkt in Berlin
Executive-Forum „Vom Guerillacontrolling zur Management Intelligence“ am 25.05.2009 im Delphinium des Sofitel am Gendarmenmarkt in Berlin

Eine weihnachtliche Haltung erkenne ich in Signalkonzepten für die betriebswirtschaftliche Steuerung. Die Ratingagenturen haben solche Signale geliefert. Die BI-Hersteller haben sie rot oder grün angemalt. Die Folgen sind bekannt. Den Weihnachtsmann gibt es nicht.

Einen gesunden Egoismus legt der Geschäftsführer an den Tag, der mir erzählte, dass es ihm nicht im Traum einfiele, beim Kampf um Konzern­budgets seine Berichte an den Vorstand dem Grundsatz eines „True and fair view“ unterzuordnen. Der Vorstand weiß das natürlich und legt an die Bereichspräsentation andere Maßstäbe an als an die monatlichen Standard­berichte aus dem Controlling. Da sind dann auch mal Torten drin.

Um Augenmaß und Engagement geht es dem Vorstand, dem wir seine Berichte auf den Blackberry liefern. Er sagte: „Ich kann als Vorstand nicht nur zwischen 8 und 18 Uhr erreichbar sein und wenn das Band steht, will ich das heute wissen und nicht erst, wenn es wieder läuft. Andererseits habe ich kein Familienleben mehr, wenn ich vor dem Fernseher auch noch das Laptop auf den Knien habe. So einen kleinen Blackberry aber toleriert meine Frau.“ Ihm müssen zahlendichte Formate nicht erklärt werden.

Dazugelernt habe ich von einem befreundeten Controller, der neue Berichtsformen in einem Kostensenkungsprojekt erstmals testete. Er analysierte mehrere Standorte desselben Unternehmens und entdeckte mehr oder weniger große Potenziale. Die Standorte, die bereits gute Kosten­strukturen hatten, waren von der neuen Visualisierung begeistert. Die Betriebsteile, in denen noch viel Sparpotenzial offenkundig wurde, fanden seine Visualisierung „albern“. Gegen das Allzumenschliche bleibt man machtlos.

Selber denken will der Vorstand einer Bank, die bisher sehr gut durch die Krise kommt. Er lässt sich wöchentlich 90 Seiten Zahlen geben. Auf seinen häufigen Flügen fährt er jede Zeile mit dem Finger nach. Er sagt, danach weiß er genau, wo er nachbohren muss. Gegen jede Form der Voraufbereitung hegt er ein abgrundtiefes Misstrauen. Es lebe die Zahl als Rohstoff der Betriebswirtschaft. Ich finde auch, wir müssen uns durchaus an den grün-weißen Berichtslisten aus früheren Tagen messen lassen, wenn wir über Berichtsgestaltung nachdenken. Ein Gutteil dessen, was wir auf jeden Fall brauchen, ist in einer simplen Liste gut aufgehoben.

Konsequent war die Unternehmensführung eines großen Pharmaunter­nehmens. In einem der Vorträge erfuhren wir, dass man dort nicht länger bereit war, sich monatelang mit dem Geschäft des Vorjahres zu beschäftigen. Deshalb wurden alle Prozesse, die nötig sind, um den Geschäftsbericht zu erstellen, so verkürzt, dass man bereits nach 28 Tagen damit fertig ist. Zum Vergleich, IBM liegt mit 57, Honda mit 90 Tagen Durchlaufzeit weit dahinter. Die Motivation für den Vorstand des Pharmaherstellers: Solange der Abschluss nicht veröffentlicht und präsentiert ist, blickt die Geschäftsleitung permanent nach hinten, anstatt sich um das neue Geschäftsjahr zu kümmern.

In alledem bestätigte sich für mich ein Verdacht, der mich fröhlich stimmt: Technik folgt Haltung, Störrigkeit wird belohnt.

Nicolas Bissantz

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