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Zu Deinem Bild sag 1.000 Worte

Dass Bilder mehr als 1.000 Worte sagen, belegt vor allem die manipulative Kraft des Bildes. Für Diagramme heißt das nichts. Im Gegenteil: Wir spendieren besser ein paar Worte, damit wir überhaupt verstanden werden.

Napoleons Russlandfeldzug war eine Katastrophe: Mit 422.000 Mann war er im Juni 1812 gestartet, mit weniger als 10.000 Soldaten kam er am 07.10.1813 zurück. Zwei Wochen nach Beginn der Kampagne hatte die Armee bereits 135.000 Soldaten verloren – ohne dass es bis dahin zu größeren Kampfhandlungen gekommen wäre. Napoleon wollte seine Truppen beim Vormarsch aus dem Land ernähren, aber der Gegner hinterließ „verbrannte Erde“. Es fehlte an Branntwein zur Wasserdesinfizierung. Die Ruhr brach aus. Krankheit, Entkräftung und Desertion dezimierten die Truppen bis zu einer Stärke von 175.000 Mann, noch bevor es am 17. August zur Schlacht um Smolensk kam. Moskau erreichte Napoleon mit 100.000 Soldaten. Zwei Drittel der Hauptarmee waren verloren. Hinzu kamen hohe Verluste an Pferden.


Ohne Zweifel ein grafischer Meilenstein: So zeigte der Ingenieur Charles Joseph Minard 1869 die Daten von Napoleons desaströsem Russlandfeldzug 1812/1813. Ohne Erläuterung aber ist sie weniger Analyse und mehr Appell.
Zum Vergrößern auf das Bild klicken.

Auf dem Rückzug wurde Napoleons Armee immer wieder in Kämpfe verwickelt. Es fehlten Pferde, um die Lasten zu ziehen. Die Soldaten verbrannten ihre Fuhrwerke, machten die Kanonen unbrauchbar und ließen sie zurück. Der Winter brach ein. Es gab keine warme Kleidung. Die Pferde waren falsch beschlagen. Die Unfälle häuften sich auf den glatten Wegen. Selbst die mitgeführten Pontons zum Brückenbau wurden verbrannt, wenige Tage, bevor man den Fluss Beresina erreichte. Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Läuse übertrugen Typhus und Fieber. Weniger als 10.000 Mann brachte Napoleon heim.

Das waren 203 Worte.

Die Grafik von Minard beschreibt das Desaster ebenfalls. Wir sehen die Truppenstärke zu jedem Zeitpunkt des Feldzugs, Ort und Richtung der Kampagne auf einer zweidimensionalen Karte, sowie am unteren Ende des Bildes eine Temperaturskala. Die Darstellung ist ein viel zitiertes Meisterwerk. Steht sie allein, lässt sich vieles daraus ablesen, aber auch hineingeheimsen. Die Temperaturskala kann zu der Annahme verführen, der berüchtigte russische Winter hätte Napoleon besiegt. Das aber ist nur ein Teil der Wahrheit. Ich habe der Grafik 203 Worte spendiert. Nach meinem Geschmack immer noch viel zu wenig. Aber sie haben der Grafik gut getan und die Umstände weiter erhellt.

Napoleon ist an vielem gescheitert. Das wenigste davon lässt sich in einer Grafik fassen. Und ebendas ist die Erkenntnis. Unsere Welt ist schwierig und schön, komplex und bunt. Grafiken, so wichtig sie in der Welt der Abstraktion sind, können davon nur einen Ausschnitt einfangen. Die Sprache bietet das nötige Mittel, unsere grafische Argumentation geeignet zu ergänzen. Daher: Wer malt, muss auch schreiben.

Nicolas Bissantz

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