Von Barbie und Ken bis Madame Tussaud, von Playmobil bis zum Männleinlaufen: Menschen als Figuren bereiten Spaß oder sind lehrreich. In der Datenvisualisierung ist das meist umgekehrt. Beispiele und Ausnahmen.
Wer dieser Tage bei uns in Nürnberg den Christkindlesmarkt besucht hat, der hatte Gelegenheit, mittags das Männleinlaufen auf dem Hauptmarkt zu bestaunen. Die Kunstuhr wurde 1509 geschaffen und ist weltberühmt. Ein Herold erscheint, ein Ordner gibt den Takt vor, Posaunenbläser, Flötenpfeifer und Trommelschläger spielen und auf dem Höhepunkt erscheinen die sieben Kurfürsten mit den Reichskleinodien, verneigen sich und umrunden dreimal Kaiser Karl IV, der mit seinem Zepter grüßt. Die Männlein überdauerten zwei Weltkriege und laufen bis heute.
Männlein, die funktionieren: Das Personalwachstum der Bechtle AG von einem Mitarbeiter im Jahr 1983 auf 4.250 im Jahr 2007 (Detailansicht).
Der Visionär Otto Neurath, umfassend gebildet und wohlvertraut mit der Bildsprache seit Erfindung der Hieroglyphen, schuf in den 1920-er Jahren die Bildstatistik. Männlein spielten auch hier eine wichtige Rolle. Enorm wichtig dabei: Zahlenverhältnisse wurden nicht durch unterschiedlich große, sondern durch unterschiedlich viele Symbole gleicher Art dargestellt. Die Symbole wiederum waren reduziert, standardisiert und frei von Dekoration. Hier ein Beispiel. Die Piktogramme, die wir Otto Neurath verdanken, erleichtern auch heute noch die Orientierung zum Beispiel auf Flughäfen und Bahnhöfen.
Die Bechtle AG stellte in ihrem Foyer in der Firmenzentrale in Neckarsulm einen Teil der Unternehmensgeschichte aus. Figuren aus dem Spiel “Mensch ärgere Dich nicht” repräsentierten humorvoll und effektiv das beeindruckende Wachstum der Mitarbeiterzahl. Genauso pfiffig: die analoge Darstellung der Umsatzentwicklung von € 33.000 im Jahr 1983 auf € 1,4 Milliarden im Jahr 2007 mittels beschrifteter Hürden.
Beinahe eine Karikatur des Ansatzes von Otto Neurath ist eine Darstellung der Wirtschaftswoche (Nr. 11, 09.03.2009, S. 15; nebenbei: Ich halte die Vermengung der Begriffe Schulden, Risiko, Haftung für tendenziös und die Darstellung für verwirrend). Die Männlein erinnern an die von Neurath und dem Grafiker Gerd Arntz entwickelten Figurenstandards. Jedoch variieren sie nicht in der Anzahl, sondern in der Größe. Über die Problematik von Flächendarstellungen haben wir schon oft gesprochen. Unter anderem hier. Ärger finde ich, dass Menschen Schulden haben können, aber Schulden nicht aus Menschen bestehen. Auch sonst sollte man heute gut überlegen, wo man wie Zwanzigerjahre aussehen will. Neuraths Bildstatistik sollte vor allem auch Analphabeten und Ungebildeten das Wissen vermitteln, um erfolgreich an der Demokratie teilzunehmen.
Das Wall Street Journal (WSJ, 13.11.2009, S. 9) fragte 52 Ökonomen, wo sie die nächste Blase auf den Finanzmärkten erwarten. Der Charme der gewählten Darstellung liegt in der Transparenz der Datenbasis.
Bei näherem Studium eine Pretiose: Der Bezug von Meinung und Person bleibt gut sichtbar (Quelle: Wall Street Journal, 13.11.2009, S. 9).
Man hätte die Balken auch schließen und beschriften oder nur Prozentangaben machen können. Das hat man unterlassen. Die Tatsache, dass die Auszählung fehlt, ist wiederum ein hübscher Hinweis darauf, dass es hier nur um Tendenzen gehen kann. Die Zusammenfassung von „Most likely“ und „Second most likely“ in Segmenten macht weitere Aspekte der Daten deutlich. Der Ansatz der WAMS in ihrem Unternehmerpanel ist demgegenüber undurchsichtig: Die Meinung von zwölf mittelständischen Unternehmern ist in einem Index zusammengefasst (WAMS, 16.03.2009, S. 29).
Das Thema Mensch und grafisches Männlein ist vielfältig. Auch Bella hat darüber schon nachgedacht und weitere Probleme für den Fall entdeckt, dass analoge Männlein für Prozentwerte stehen sollen. Die Abstraktion Neuraths, bei der ein Männlein zum Beispiel für 250.000 Arbeitnehmer der UdSSR steht, muss erst gelernt werden. Am besten funktionieren Männlein, wenn tatsächlich jedes Männlein für einen Menschen steht. Deshalb funktionieren die Männlein bei Bechtle so gut. Genauso wie die hoch über dem Christkindlesmarkt. Seit 500 Jahren.