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Lieber Faust als Auge

Viele Diagramme täuschen das Auge und manipulieren unsere Intuition. Parallele Verläufe sind keine oder Scheren sind eigentlich Parallelen. Das ist tückisch. Abhilfe schafft unser Lügendiagramm­detektor mit Hilfe einer Faustformel.

Amerika und China sind in Streit über das Handelsdefizit der USA gegenüber den Chinesen. Das Auge versteht sofort, warum: Die Schere zwischen Einfuhr und Ausfuhr öffnet sich gewaltig und das seit dem Jahr 2000. Der eilige Leser blättert weiter, ist er doch froh, dass ein Diagramm ihm so schnell die Welt erklärt hat. Der Leser unseres Blogs stutzt, schätzt mit bloßem Auge Anfangs- und Endwerte von Einfuhr und Ausfuhr und nimmt einen Taschenrechner zur Hand.

Amerikas Handelsstreit mit China: Warenhandel Amerika mit China und Amerikas Handelsbilanzsaldo. - Quelle: FAZ, 27.09.2010, Seite 13.
Die USA streiten mit China. Man glaubt, sofort zu verstehen, warum: Zwischen den Einfuhren und den Ausfuhren geht die Schere immer weiter auf. Wirklich? – Quelle: FAZ, 27.09.2010, Seite 13.

Ich lese die Endwerte ab: 91 Mrd. Dollar für die Einfuhren und 27 für die Ausfuhren. Die Anfangswerte schätze ich, 23 für die Einfuhren und 8 für die Ausfuhren. Die Zuwächse sind dann absolut 91 – 23 = 68 und 27 – 8 = 19. Prozentual sind die Importe also um 404 % und die Exporte um 338 % gestiegen. Hoppla! Da hat mein Auge sich einmal mehr von einer linearen Skalierung täuschen lassen. Die Überprüfung mit auf Anfangs- und Endwerte vereinfachten Daten zeigt: Die Schere ist ein Artefakt der linearen Skalierung. Bei logarithmischer Skalierung würde aus der Schere beinahe ein Parallelogramm.


Links lineare Skala, wie im Original; rechts logarithmische Skala. Die logarithmische Skalierung entlarvt die vermeintliche Schere als Beinahe-Parallelogramm – die linke Grafik übertreibt um den Faktor 3,17.

In wenigen Wochen in Berlin wollen wir dafür werben, das Mysterium Intuition als legitimen De-facto-Bestandteil jeder betriebswirtschaftlichen Entscheidung anzuerkennen. Intuition wird allerdings zur Selbsttäuschung, wenn die Entscheidungsgrundlage korrumpiert ist. Damit sind wir bei Diagrammen und der Verantwortung, die ihre Urheber haben.

Angesichts ihres Mangels an logarithmischen Skalen müssen wir Zeitungen leider alles andere als intuitiv lesen und jeder noch so mickrigen Grafik gründlich misstrauen. Das macht das Diagrammlesen zu einer teuren Angelegenheit. Man sieht einer linearen Skalierung ohne Nebenrechnung nicht an, wie die gleichen Daten logarithmisch skaliert aussähen. Wir haben uns daher einen kleinen Lügendiagrammdetektor gebaut.

Lügendiagrammdetektor

Der Lügendiagrammdetektor gibt nach einer Faustformel aus, um welchen Faktor die obere von zwei linear skalierten Linien steiler verläuft als bei (korrekter) logarithmischer Skalierung. Je weiter der Faktor von Eins entfernt ist, desto stärker sind die Steigungsverhältnisse übertrieben. Für die obige Grafik ergibt sich ein Übertreibungsfaktor von 3,17.

Zurück zum Handelsstreit: Die Argumente der USA gegenüber China will ich damit nicht in Frage stellen. Wie der Blick in eine integre Grafik zeigt, liegen die Dinge wie meist viel komplizierter. Gezeigt wird jetzt das Saldo aus Import und Export als Prozentsatz des gesamten Handelsvolumens. Denn auch wenn wir Import und Export logarithmisch zeigen, bleibt der Saldo schwer abzulesen. Daran scheiterte schon William Playfair vor 200 Jahren.

Saldo aus Import und Export als Prozentsatz des gesamten Handelsvolumens von 1960 bis 2010.
Der Saldo aus Import und Export als Prozentsatz des gesamten Handelsvolumens von 1960 bis 2010.

Tatsächlich hat diese Quote eine sehr bewegte Geschichte mit längeren Phasen wiederholter Zuwächse ebenso wie Phasen fortgesetzter Rückgänge. Zwischen 1998 und 2005 hat sich die Quote für die USA immer wieder verschlechtert, bis 2009 dann wieder verbessert. Aktuell ist die Quote wieder schlechter.

Solange sich logarithmische Skalierungen noch nicht durchgesetzt haben, muss leider gelten, dass zum Lesen der meisten Diagramme das Auge allein nicht reicht, sondern wir die Faust zur Hilfe nehmen müssen.

Nicolas Bissantz

Diagramme im Management

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