Pirat zu sein, ist derzeit ziemlich ungefährlich. Die deutsche Marine wetzt allerdings schon die Enterhaken. Dennoch: Im Berichtswesen sollten wir Freibeuter sein. In Übereinstimmung mit niemand Geringerem als dem Wall Street Journal.
Piraten halten sich nicht an Konventionen. In der Wahl der Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen sind sie nicht zimperlich. Eben dieses Vorgehen empfehle ich allen, die ihr Berichtswesen ganz egoistisch im Sinne des eigenen Unternehmens über das Übliche hinaus verändern wollen. Die Zeit ist günstig. Die Krise schärft den Blick und verschiebt die Prioritäten. Zögern und Zaudern sind out. Manches, was lange nur wünschenswert schien, kann jetzt im Eiltempo endlich durchgesetzt werden.
Was hat das nun mit dem ehrwürdigen über 100 Jahre alten “Journal” zu tun? Sehen wir uns dazu ein Beispiel vom 14.11.2008 an. Sowohl die Börsen-Zeitung als auch das Journal zeigten den Verlauf der LSE. Das ist die Aktie der London Stock Exchange.
Börsen-Zeitung 14.11.2008, S. 3 |
The Wall Street Journal 14.11.2008, S. 16 |
Die Börsen-Zeitung zeigt den Verlauf der Aktie über etwa 17 Monate. Im Maximum erreicht sie etwa 2000 Pence, im Minimum etwas unter 416 Pence. Schauen wir uns zwei deutliche Veränderungen innerhalb des Verlaufs an, in der Grafik orange markiert. Den sehr kurzfristigen Sprung um 44 % in der jüngsten Vergangenheit und den längeren Anstieg um 60 % im vergangenen Jahr. Optisch ist der 60-Prozent-Anstieg mehr als dreimal so groß wie der 44-Prozent-Sprung. Da 60 % nur das 1,4-fache von 44 % ist, ist die Verzerrung also erheblich.
Das WSJ zeigt den Verlauf der LSE-Aktie am selben Tag ebenfalls. Die Darstellung ist verzerrungsfrei. Der Grund ist simpel. Die Skala im Journal ist logarithmisch, die Skala in der Börsenzeitung nicht.
Bemerkenswert ist, unter welcher Flagge die logarithmische Skala segelt. In der Legende zur Grafik heißt es:
“The charts show the percentage change in each index’s or stock’s value, rather than the point change, for purposes of comparison.”
Von Logarithmus kein Wort. Stattdessen weist man schlicht daraufhin, dass die Skala Vergleichbarkeit der relativen Veränderungen herstellt. Vom üblichen Argument, logarithmische Darstellungen würden nicht verstanden, lässt sich das Journal also nicht von einer korrekten Darstellung abhalten. Wie lahm das Argument ist, zeigt übrigens ein Blick in die Auflagen.
Das Wall Street Journal verkauft 2 Millionen Zeitungen täglich. Die New York Times, die ebenfalls vergleichbare Skalen zeigt, 1 Million.