Eine Grafik aus der Welt am Sonntag verzerrte um mehr als das Siebenfache. Im ersten Teil haben wir Bellas Proportionalitätsgesetz repetiert, mit dem Lügenfaktor nachgemessen und versucht, die Welt durch Normierung zu retten. Heute bändigen wir den Tiger.
Jon Peltier hat unsere Bemühungen verfolgt und empfahl, eine logarithmische Achse zu verwenden. Zu Recht: Bei logarithmischer Skalierung vermittelt die Grafik dasselbe wie die Zahlen. Das Original (oben rechts) ließ den Strom steiler als das Erdgas steigen. Heizöl explodierte geradezu. Jetzt hingegen stimmen die Verhältnisse. Die Steigungen der Linien passen zu den Wertänderungen um 122, 83 und 36 Prozent:
Die logarithmische Skala schafft es also, die Verhältnisse ins rechte Licht zu rücken. Warum ist das so?
Das Tigergeheimnis: Identische Nachkommastellen
Logarithmen haben viele segensreiche Eigenschaften. Eine davon sehen wir anhand dieser Tabelle, die uns die logarithmierten Werte von 10 bis 100 und von 100 bis 1000 zeigt:
y | 10 | 20 | 30 | 40 | 50 | 60 | 70 | 80 | 90 | 100 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
lg(y) | 1,00 | 1,30 | 1,48 | 1,60 | 1,70 | 1,78 | 1,85 | 1,90 | 1,95 | 2,00 |
y | 100 | 200 | 300 | 400 | 500 | 600 | 700 | 800 | 900 | 1000 |
lg(y) | 2,00 | 2,30 | 2,48 | 2,60 | 2,70 | 2,78 | 2,85 | 2,90 | 2,95 | 3,00 |
Die Nachkommastellen sind paarweise identisch! Eine logarithmische Skala konstruieren wir damit, indem wir wie gewohnt unsere Y-Werte an eine senkrechte Achse schreiben, für die tatsächlichen Abstände aber ihre Logarithmen verwenden. Das führt dazu, dass auf jeder Größenordnung von Werten gleiche prozentuale Veränderungen mit derselben Steigung abgebildet werden. Konkret: Eine 50-prozentige Veränderung vom Wert 20 auf den Wert 30 wird auf der Y-Achse mit der Steigung 1,48 – 1,30 = 0,18 abgebildet. Die ebenfalls 50-prozentige Veränderung vom Wert 200 auf den Wert 300 ebenfalls (2,48 – 2,30 = 0,18). Auf einer „normalen“ Skala hingegen würden wir die Steigungen 30 – 20 = 10 und 300 – 200 = 100 vergleichen. Das Ergebnis haben wir oben rechts.
Logarithmische Skalen finden wir in Zeitungen noch seltener als normierte Darstellungen. Wie wir sehen, bedürfen sie einer Erklärung. Das und ein paar andere Gründe, die für unsere Fälle aber keine Rolle spielen, lassen manchen ihre Anwendung mit dem Ritt auf einem tollwütigen Tiger vergleichen, den man am besten nur mit verbundenen Augen und in sediertem Zustand absolviert. Das ist kompletter Unsinn.
“In order to represent comparable percentage changes, the scale is logarithmic”
Quelle: New York Times vom 21.09.2008, S. 19. Zum Vergrößern anklicken.
Eine logarithmische Skala sorgt dafür, dass die Steigungen die prozentualen Veränderungen zeigen. Die absoluten Werte können wir dann aus der Skala ablesen oder beschriften. Ein Vergleich, in dem die Steigungen nicht proportional zu den prozentualen Veränderungen sind, ist schlicht und ergreifend irreführend und damit nutzlos. Ein kleiner erklärender Hinweis auf die logarithmische Skala liefert die nötige Lesehilfe.Die ehrwürdige New York Times zeigt, wie es geht. Die Darstellung zur Finanzkrise mit ihrer Integration von Grafik, Zahlen und Text ist ein Monument gelungenen Informationsdesigns.
Der Parallelverlauf stürzender Kurse ist tatsächlich auch so interpretierbar und nicht ein Produkt mangelhafter Skalierung. Dass es der Times zudem gelingt, Daten, Text und Grafik derart zu einem sinnhaften und höchst informativen Ganzen zu verschmelzen, ist vorbildlich. Bei genauerem Hinsehen also ist der Logarithmus schnell verstanden. Man ist daher erstaunt, ihm nicht häufiger zu begegnen.
Nicht nur für New-York-Times-Leser, sondern auch für Controller und Manager gilt fortan: Der tollwütige Tiger ist doch nur eine brave Hauskatze.