Die Lobhudelei für Infografiken ist kaum zu steigern. Aus Zahlen sollen Bilder werden – weil man sie dann besser versteht. Stimmt das? Müssen Controller Infografiker sein, um besser verstanden zu werden? Oder versteht da jemand falsch, wie man am besten versteht?
Eine ganze Weile lag das Buch auf meinem Schreibtisch herum: „Stolz‘ und Häntzschels Welt der Informationen – 105 Grafiken, die einfach alles erklären“. Das nenne ich einen selbstbewussten Titel. Am Wochenende berichteten die Nürnberger Nachrichten, meine Heimatzeitung, darüber. Die Einleitung ist der übliche Lobgesang:*
“Lust auf eine Statistik? Auf ein Blatt Papier oder gar ein ganzes Heft voller Tabellen, gespickt mit endlosen Zahlenreihen? Eine Technokratenseele mag das begeistern, doch bis unsereins erfasst hat, worum es geht, legen wir die Erhebung lustlos wieder weg. Wie schön ist es da, wenn kreative Leute auch den kompliziertesten Sachverhalt in eine Grafik umzusetzen wissen, bei der ein Blick genügt, um zu verstehen. Statistiker aufgemerkt: Wir lieben Bilder!”
Komplizierte Sachverhalte verständlich zu erklären, ist eine tolle Sache. Mir fiel Megan Jaegerman ein, deren Arbeiten auch Edward Tufte bewundert. Tufte hat eine großartige Sammlung ihrer Werke auf seinem Forum. Jedoch: Was ihre Arbeiten besonders macht, hat wenig mit dem „ersten Blick“ zu tun. Vielmehr belohnt die Lektüre ein Mehr an Zeit mit einem Mehr an Erkenntnis. Wer länger liest, weiß mehr. Großen Anteil daran hat Jaegermans Hochachtung vor Text.
Wenn Infografik funktioniert, sieht das zum Beispiel so aus. Wir lernen etwas aus der echten Welt, das wir nicht wüssten, selbst wenn wir dabei gewesen wären. Eines der vielen großartigen Werke von Megan Jaegerman.
Das Kriterium des „ersten Blicks“ für Infografiken ist missverständlich. Bellas Blog ist voller Beispiele dafür, wie der erste Blick täuscht oder der zweite Blick den Beweis dafür schuldig bleibt, dass der erste Eindruck auch der richtige ist. Als wir uns selbst einmal infografisch versuchten, war eben dies der Ausgangspunkt. Eine Grafik von „Spiegel online“ vereinfachte die Welt so sehr, dass sie nicht mehr stimmte. Einigen wir uns lieber darauf: Auf den ersten Blick sollte man sehen, worum es geht.
Das ging mir durch den Kopf, als ich die „Welt der Informationen“ nochmals zur Hand nahm. Als Statistiker sollen wir aufmerken, sagt die NN, denn „wir lieben Bilder“ und die versteht man auf einen Blick. Na gut, den Schuh zieh ich mir an:
Wiederkehr der Mode: Was wurde zu welcher Zeit von vielen getragen? – Bildliches Sujet, zeitliche Häufigkeit und Dauer.
Zeit verflattert Halbwegs gut geht Infografik normalerweise, wenn das Thema bildlicher Natur ist. Wie z. B. über Mode sprechen, wenn man sie nicht zeigt? Den statistischen Teil der Modischen Wiederkehrer aber finde ich verbesserungsbedürftig. Zu schlecht ablesbar, zu anstrengend grau auf grau, zu unpräzise, eigentlich lieblos sind diese spannenden Daten in Flatterbänder gepresst. Es gab ein Revival der Cowboy-Stiefel? Wusste ich nicht. Wann zuletzt? Kann man nicht lesen. Da Hemden, Hosen und Schuhe ohnehin mit wenigen Details gezeichnet sind, hätten sie kleiner auch funktioniert und das eigentlich Spannende in den Vordergrund rücken können: Häufigkeit, Dauer, Frequenz. Weder aus der Mode noch aus den Daten wurde schöne Erkenntnis.
Steile Tribünen: Welchen Winkel haben die Ränge in den Fußballstadien? – Winkelgrade als Linien gedacht, fälschlich als Keile gemalt.
Winkel verkeilt Kollegen, die das ein oder andere Stadion kannten, fanden die Darstellung interessant. Ich rätselte eine Weile, ob ich mein Auge dazu bewegen könnte, die Unterschiede der Realität so konfettibunt erkennen zu wollen. Stört es mich außerdem, dass die Wahrnehmung der größten Winkelunterschiede dadurch behindert wird, dass man nicht weiß, wo sie hingehören? Siehe Werder Bremen: Der grüne Keil hat zwei Winkel, den von Hertha unten und den von Werder oben, das Stadion natürlich nur den oberen. Wieder großes Lob an die Datensammler. Wieder schade, wie wenig die Grafik daraus macht.
Geld fürs Essen: Wie viel Prozent ihres Einkommens geben Europäer für Lebensmittel aus? – Nettoeinkommen als unregelmäßige Fläche, relative Ausgaben als Zahl.
Zahlen verstreut Was sehen wir auf den ersten Blick? Ungleich große preisschildförmige Flächen in zufälliger Anordnung mit Zahlen, deren arithmetische Größe im Widerspruch zu den Flächengrößen steht. Was soll das? Kleingedruckt auf den zweiten (?) Blick finden wir die Erläuterung für das dominierende grafische Element: „Die Größe des Etiketts gibt an, wie groß das mittlere Nettoeinkommen ist.“ Irgendwann, nachdem ich mich fast schummrig im Kreis geguckt hatte, fand ich heraus: Türken verdienen am wenigstens und schlemmen am meisten. Oder geben alle gleich viel aus und das führt zu unterschiedlichen Anteilen? Oder sind Lebensmittel unterschiedlich teuer?
Erwischt und nicht erwischt: Die Aufklärungsquote der Verbrechen in Deutschland – Anteile an einer Gesamtmenge mit rot für die positiven (aufgeklärten) Fälle.
Quoten verbrochen Wenn Symbole so sehr in unseren gelernten kulturellen Zeichenvorrat eingegangen sind, dass sie schneller verstanden werden als Text, dann spricht einiges für ihre Verwendung. Wenn die bildliche Interpretation eines abstrakten Begriffs einen neuen Aspekt hinzufügt, kann das von Vorteil sein. In diesem Beispiel habe ich persönlich sofort verstanden, was ein Tankstellenüberfall sein soll, als ich den Begriff dazu las. Die Zeichnungen lösten Regungen zwischen Amusement und Ärger aus. Man möchte kein Opfer eines Gewaltverbrechens sein und anschließend dieser Grafik begegnen. Zu naiv, zu wenig empathisch ist hier das Menschenbild. Das die Aufklärungsquote rot ist und die Dunkelziffer weiß, passt leider gut in dieses verunglückte Bild.
Die Farben der Autos: Wie sich die Moden verändert haben.
Entwicklung verkleckst Über Autofarben hat auch Bella nachgedacht. Die Sache ist schwierig, keine Frage: Wie zeigt man die Veränderung von Anteilen über viele Jahre? Man muss die Lösung hier mit Bellas entstapelter Grafischer Tabelle vergleichen, um zu erkennen, was den Daten hier angetan wird. Entwicklungen zu vergleichen, ist dann spannend, wenn Geschwindigkeiten sichtbar werden, vorübergehende Höhepunkte, ein plötzliches Anschwellen und Verebben. Dazu braucht es ein Mindestmaß an Differenzierung, das hier durch ein grobes Kreisraster zugekleckst wird.
Beliebtheit von Regierungschefs: Wie sich die Popularität im Lauf der ersten Amtsmonate verändert hat – Smileys repräsentieren Anteile und aus dem Lächeln wird eine Fratze, wo ein breites Grinsen sein sollte.
Anteile verknautscht Kurznachrichten profitieren von der Erweiterung unseres Zeichenvorrats um die sogenannten Emoticons. Sie schaffen es, die Wirkung eines Lächelns oder eines traurigen Gesichts mit nur zwei Zeichen zu transportieren. Entsprechend der menschlichen Mimik sind mit etwas mehr Pixeln auch noch gewisse Varianten möglich: ein breites Lachen, Staunen, leichte Unzufriedenheit. Sie alle funktionieren, weil zwischen Abbildung und menschlicher Mimik Übereinstimmung herrscht. In dieser Grafik wird dem Leser zugemutet, die höchsten Zustimmungswerte mit einer Fratze zu assoziieren, bei der sich die Mundwinkel in die Stirn schieben und die Augen zusammenquetschen. Frankenstein for President.
Was lernen wir für das Controlling daraus? Hier wurden mit viel Fleiß teils sehr interessante Daten zusammengetragen und daraus mit viel Humor Fingerübungen in Datenillustration gemacht. Und natürlich wissen die Autoren, dass sie viel mit Daten gespielt, aber damit wenig erklärt haben. Das Buch hat weder Inhaltsverzeichnis noch Seitenzahlen. Es ist ein Bilderbuch. Ich vermute: Dass die Fratzen in der Smiley-Grafik George W. Bush und Angela Merkel treffen, wird die Szene eher amüsieren, als nachdenklich ob der Wahl ihrer Mittel machen.
Daten zu illustrieren, ist nicht die Sache des Controllings. Wie man die Merkkraft von Bildern nutzt, schon. Ob ich will oder nicht: Einige der Beispiele oben könnte ich immer noch aus dem Kopf malen. Sogar die viel zu feinen Zeitstreifen für Cowboy-Stiefel weiß ich noch halbwegs. Wie Bild und Zahl zu Merkeinheiten werden, da können wir als Statistiker, Controller, Manager noch viel lernen. Das aber lieber von Megan Jaegerman.
* Nürnberger Nachrichten, Magazin am Wochenende, 20.10.2012, S. 1.