Den Fans von Self-Service BI, also Do-it-yourself-Analysen auf allen Ebenen eines Unternehmens, habe ich schon Wasser in den Wein gegossen. Ich schenke nochmal nach: Der richtige Umgang mit Kennzahlen ist hakelig und braucht Know-how. Das haben die Stäbe und die sollten die Führerschaft nicht aufgeben. Hakelige Gedanken über Prozente.
Unternehmen verwirklichen Träume: Sie setzen Innovationen durch, drehen Machtverhältnisse auf etablierten Märkten um, brechen die Vorherrschaft von Konkurrenten oder konkurrierenden Nationen. Das braucht ebenso viel Aggressivität wie Kreativität. Und: Geld. Wer am meisten davon hat, ist im Vorteil. Je größer die Kriegskasse, desto größer der Spielraum für Investitionen. Das sind betriebswirtschaftliche Binsenweisheiten – warum breite ich sie hier aus?
Vielleicht der Friseursalon einer Filialkette mit dem größten EBIT in Prozent vom Umsatz. Na und?
Weil ich den Eindruck habe, dass sie sich in vielen Managementberichten nicht ausreichend niederschlagen. Das ist erst im Detail zu erkennen, hat aber große Wirkung auf die Wirksamkeit von Berichten. Geld ist eine absolute Größe. Stattdessen sehe ich aber viele Berichte, die den Blick zu sehr auf relative Größen lenken. Den Blick zu sehr lenken heißt, dass relative Größen wie z. B. Margen in Prozent vom Umsatz nicht „nachrichtlich“ enthalten sind, sondern
a) der Bericht nach Prozentgrößen sortiert ist,
b) absolute und Prozentgrößen gemischt untereinander stehen und die gedankliche Sortierung des Berichts erschwert ist oder
c) grafische Elemente den Blick auf die Prozentgrößen ziehen.
Ja, aber müssen wir denn nicht diejenigen Produkte, Kunden, Kanäle, Märkte, Aufträge mit den größten Margen als erstes betrachten, fördern, vermehren? Wenn wir es könnten, ja! Aber es ist eine andere (volkswirtschaftliche) Binsenweisheit, dass hohe Margen aus Neid schnell Wettbewerb machen, der dann die Margen verfallen lässt. Hohe Gewinne sind daher in der betrieblichen Realität auf wenige Objekte beschränkt oder sogar vorübergehend, jedenfalls aber nicht beliebig vermehrbar. Das bedeutet dann viel Marge bei Objekten mit wenig Umsatz.
Verkäufe in einem Baumarkt, Top 15 sortiert nach Umsatz.
Ja, aber gibt es denn nicht Größen wie Krankenstand, Liefertreue, Ausschuss, Auslastung, Erstklärungsquote, die man per se zu maximieren oder zu minimieren hofft? Will man nicht so gesund, liefertreu, ausschussarm, ausgelastet sein wie möglich und die Probleme seiner Kunden und Partner sofort lösen? Dann wäre bereits eine Quote von 100 oder 0 % doch das Ziel? Nein! Bei einer Abteilung mit zwei Mitarbeitern haben wir einen Krankenstand von 50 %, wenn einer krank ist. Wollen wir das zuerst betrachten oder die 1.000 Fehlstunden mehr in der Produktion, weil dort der Krankenstand von 1,3 % auf 1,5 % gestiegen ist? Für den Betriebswirt gilt auch hier: keine Schlussfolgerung ohne monetäre, ersatzweise mengenmäßige, also absolute Bewertung.
Verkäufe in einem Baumarkt, Top 15 sortiert nach Marge. Jetzt verkehrt sich die Folge. Elektrokabel von Platz 39 (nach Umsatz gerechnet) rückt auf Platz 1 vor.
Ja, aber ist der Marktanteil nicht eine Ausnahme? Stimmt. Zu dem Wenigen, das man über Unternehmen hinweg mit Substanz nachweisen konnte, gehört doch die Beobachtung, dass mit dem Marktanteil die Rendite eines Unternehmens steigt. Deshalb ist die Maximierung des Marktanteils ein rationales Ziel und als Prozentwert geeignet ausgedrückt.
Verkäufe in einem Baumarkt, Top 15 sortiert nach Bruttogewinn. Eine sehr brauchbare Sortierung. Sie ordnet die Betrachtung nach dem Geld, das anschließend für unternehmerische Maßnahmen zur Verfügung steht.
Ja, aber ist eine relative Größe nicht der objektivere Vergleich? Beim Autokauf vergleicht man doch auch die Rabatte der Hersteller auf den Listenpreis. Analysten vergleichen die EBITs der Unternehmen. Die Arbeitslosenquote macht Perioden über lange Zeiträume vergleichbar. Nein, von Objektivität kann nicht die Rede sein. Relative Größen sind voller Tücken und je mehr man davon studiert, desto argwöhnischer wird man. Was helfen hohe Nachlässe beim Neuwagen, wenn der Wiederverkaufswert ebenfalls sinkt? Der Marktführer wird bei dreifachen Umsätzen, aber dem geringsten EBIT der Branche die Konkurrenten immer noch das Fürchten lehren. Gleiche Arbeitslosenquote bei gleichzeitig weniger Kündigungen und Vermittlungen deuten auf einen starrer werdenden Arbeitsmarkt.
Verkäufe in einem Baumarkt, Top 15 sortiert nach Alphabet und mit Balken für die Margen. Die Aufmerksamkeit gilt jetzt margenstarken Produkten, unabhängig von ihrer Umsatzbedeutung. Murks.
Zur Illustration haben wir typische Umsatz- und Margenwerte verschieden sortiert. Sortiert wird durch die Reihenfolge oder grafische Elemente wie im letzten Beispiel. Was von der jeweiligen Sortierung zu halten ist, erklärt die Bildunterschrift. Beobachten Sie sich selbst: Die Sortierung lenkt unweigerlich unsere knappe Aufmerksamkeit.
Damit aus der Lenkung nicht Ablenkung vom Wesentlichen wird, ist die richtige Sortierung ein entscheidendes Kriterium für einen wirksamen Bericht. Das gilt selbst in einer derart einfachen Tabelle. Wenn noch einige Kennzahlen ergänzt sind, wie das üblich ist, und daher Orientierung für das Auge noch wichtiger wird, wird aus der Ablenkung rasch Fehlsteuerung.
Natürlich ist alles noch komplizierter. Das Gesagte gilt für eine “In-sich-Relativität” oder Intra-Relativität, wie ich das nennen möchte: Prozentwerte, die zwei absolute Werte für ein Objekt ins Verhältnis setzen. Die Marge als Prozentwert dividiert ja den Bruttogewinn durch den Umsatz. Das ist die introvertierte Variante von Relativität. Wenn Relativität zur Steuerung beitragen soll, brauchen wir ihre extrovertierten Schwestern, die Extra-Relativität also. Um die geht es demnächst.