Professor Dr. Rolf Hichert ist vehementer Verfechter guter Informationsvisualisierung im deutschsprachigen Raum und seit Jahren missionarisch auf Controllertagungen und Seminaren höchst erfolgreich tätig. Im Interview mit mir erläutert er, dass quer durch alle Branchen und Unternehmensgrößen schlechtes Berichtsdesign dominiert, und zeigt die Kardinalfehler schlechten Berichtsdesigns auf. Dabei scheut er auch nicht vor harscher Kritik an mächtigen Branchen, wie z. B. den Beratern, zurück.
Bissantz Auf Controllertagungen garantiert es den Vortragenden einen sicheren Lacher, von „vorstandssicheren“ Informationssystemen zu sprechen. Gemeint sind damit Instrumente, die man nicht falsch bedienen kann. Trauen die Controller ihren Vorständen nichts zu?
Rolf Hichert Es sieht so aus. Ich habe in den letzten dreißig Jahren viele Vorstände kennen gelernt. Die meisten davon halte ich für kluge Leute. Es sind nicht die Vorstände, die zu dumm sind, sondern die meisten Berichte sind es.
Bissantz Mein Eindruck ist, Vorstände legen an Informationen härtere Maßstäbe an. Was nicht schnell und einfach mehr Wissen bringt, fällt vom Stapel …
Rolf Hichert … direkt in den Papierkorb. Ja, so ist es. Und Managementinformationssysteme, die erst bei der Bedienung und dann noch beim Inhalt Rätsel aufgeben, werden nicht mehr angeschaltet. Information ist eine Ressource, bei der das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen ebenso geprüft wird wie bei jedem anderen Produktionsfaktor.
Bissantz Sie setzen an den Berichten an und haben in den letzten beiden Jahren mehr als zwei Tausend Controllern neue Maßstäbe für bessere Berichte gelehrt. Das spricht für viel Interesse am Thema „Wie mache ich gute Berichte?“
Rolf Hichert Ja, ich war von der Resonanz selbst ein wenig überrascht. Bei dem, was ich an Berichtsqualität sehe, müsste man meinen, das Thema interessiert keinen. Im Gegenteil. Der Leidensdruck ist da und die Leute wollen was tun. Das Problem scheint mir eher eine Know-how-Lücke zu sein. Meine besten Beispiele dafür, wie man es nicht macht, finde ich in Leitfäden für gutes Berichtsdesign. Da ziehen Leute durchs Land, die den Controllern genau das Gegenteil von dem predigen, was gut ist.
Bissantz Sie haben durch Ihre Beratungstätigkeit einen guten Überblick. Sind die großen Konzerne mit ihren Stabsabteilungen und Controllingheerscharen besser gestellt als andere?
Rolf Hichert In der Regel finde ich schon auf der ersten Seite eines beliebigen Berichtsbands 20 „Bugs“ und dann kommen ja noch weitere 50 Seiten. Von wem der Band ist, spielt dabei keine Rolle. Alle machen die gleichen Fehler.
Bissantz Was sind die gängigsten „Berichtsbugs“?
Rolf Hichert Es gibt fünf Kardinalfehler. Sie begegnen mir alle und dauernd. Der wichtigste: keine Botschaft. Ich frage die Leute oft: „Da steht jetzt Umsatz Europa 2000 bis 2005 drüber. Was willst Du damit sagen, was ist Deine ‚Message’?“ Die Leute wissen es nicht. Man schreibt drüber, was eigentlich nur die Legende oder allenfalls der Berichtstitel ist, und ist mit sich zufrieden.
Bissantz Und die anderen Kardinalfehler?
Rolf Hichert Zweitens: uneinheitliche Notationen. Auf der einen Seite heißt EK Eigenkapital und auf der anderen steht es für Einzelkosten oder Einkauf. Gleiches gilt für HR, das Human Resources oder z. B. Hochrechnung bedeutet. Mal wird in Tausend EUR angegeben, dann wieder in Millionen. Drittens: Rauschen. Damit meine ich jede Form von „Chartjunk“. Unnötigen Firlefanz, der den Blick auf die Daten verstellt. Viertens: zu geringe Dichte. Das propagieren Sie ja auch sehr stark mit integrierten Sparklines und Tickern. Die Berichte brauchen eine höhere Informationsdichte. Wenn hin- und hergeblättert werden muss, um triviale Dinge gemeinsam zu sehen, verliere ich meine Empfänger. Und zu guter Letzt finde ich immer wieder schrecklich redundante Darstellungen.
Bissantz Und wie reagieren die Vorstände auf diese Situation?
Rolf Hichert Na ja, sie lassen es über sich ergehen und messen dem Ganzen eine entsprechend eingeschränkte Bedeutung zu. Oft ist auch der Zug schon längst abgefahren. Wenn ein Vorstand nicht innerhalb der ersten fünf Tage nach Amtsantritt nachhakt, was das alles soll, dann wird es später sehr schwer. Er müsste zugeben, dass er etwas geduldet hat, was er noch nie so recht verstanden hatte.
Bissantz Was richtet Ihr Kreuzzug gegen überflüssige Berichte aus?
Rolf Hichert Inzwischen nehme ich kein Blatt mehr vor den Mund und zeige die Situation so grausig auf, wie sie ist. Im Grunde beleidige ich mein Publikum geradezu. Ich sage denen klipp und klar, von mir bekämen sie kein Geld für ihre Informationen. Anstatt mich rauszuwerfen, spenden sie mir Beifall. Insofern bin ich überzeugt, dass ich im Grunde offene Türen einrenne. Nur die Umsetzung bleibt natürlich schwierig. Meist bekomme ich folgende Selbstverpflichtung als Ergebnis: Man nimmt sich vor, innerhalb der nächsten Monate 10 % von dem umzusetzen, was man gelernt hat und unmittelbar mit einem Prozent zu beginnen.
Bissantz Erleben Sie auch Widerstände gegen die „reine Lehre“?
Rolf Hichert Ja. Meine „natürlichen Feinde“ sind das Corporate Design und die Berater. Die einen meinen, das Wichtigste am Berichtswesen sei, dass die Säulen immer im Company-Blau in 3D rumstehen. Die anderen sind schlicht beratungsresistent. Dieser politische Umgang mit Farben ärgert mich besonders.
Bissantz Inwiefern?
Rolf Hichert Ach, die ganze herrschende Meinung steht doch auf dem Kopf. Leute wie Tufte weisen sehr glaubhaft nach, dass die Challenger-Katastrophe sehr viel mit der fehlgeleiteten Begeisterung für PowerPoint zu tun hat, und hier stehen die Uniprofessoren Kopf, dass sie ihre ganzen Vorlesungen jetzt komplett auf Powerpoint umformatiert haben. Unsere Informationskultur hat kein Niveau. Zwei Beispiele: Vorletztes Jahr habe ich einen Vortrag gehalten auf einer Business-Intelligence-Konferenz. Ein Jahr später war ich wieder eingeladen, aber ich sollte zu Performance Measurement sprechen. Keiner konnte mir erklären, was der Unterschied sein soll. Ich habe dann nur den Titel geändert und alle waren zufrieden.
Bissantz Tufte sagt, PowerPoint ist etwas für schüchterne Redner, die nicht mehr zu sagen haben, als bei 24 Punkt Schriftgröße auf eine Folie passt.
Rolf Hichert Man versteckt sich im Dunkeln des Beamerlichts, die Folien leuchten und die Zuhörer lassen es geduldig über sich ergehen. Auf einer Konferenz habe ich mitnotiert. Meine Lieblingssprüche der Vortragenden: “Sie können das zwar nicht lesen, aber ich habe noch drei Folien davon” und “Das interessiert Sie jetzt zwar nicht, aber ich zeige es trotzdem”.
Bissantz Was ist Ihre Vision?
Rolf Hichert Ich stelle mir ein visuelles Regelwerk vor, das Standards setzt, auf die man sich in der Kommunikation dann verlassen kann: Zum Beispiel kann man sich darauf verständigen, dass Monate immer im Abstand von 1 cm abgebildet werden, der Umsatz immer blau ist, Balken in EUR eine andere Form haben als Balken in Fremdwährungen usw.