Wenn wir Kaufentscheidungen zu treffen haben, verlassen wir uns am liebsten auf unsere Freunde. Wenn sie ein Produkt aus eigener Erfahrung empfehlen, ist es schon halb gekauft. Wenn gerade kein Freund in der Nähe ist, tut es ersatzweise auch ein Zeitgenosse, dem wir unterstellen können, dass er keine Provision vom Hersteller bekommt. Der Volksmund nennt das Mundpropaganda und die Marketingleute schauen grün vor Neid auf ihre Wirksamkeit. Expertenrat schätzen wir auch, aber doch deutlich weniger. Leute, die noch schlauer sind als wir, sind einfach unheimlich. Und überhaupt, die Vermarktung von Expertenwissen ist ein Geschäft und nicht heiliger als andere.
Soziale Software
Web 2.0 bescherte uns das Phänomen, dass die Surfer selbst in zunehmendem Maß Inhalte schaffen und Wikis, Blogs und Podcasts erstellen und pflegen. Man nennt die dafür nötigen Instrumente soziale Software. Wunderbare neue Welt: Schon-Kunden können Noch-nicht-Kunden warnen oder zu ebenso glücklichen Auch-Kunden machen. Wofür Verbraucherschützer Jahrzehnte kämpften, passiert im Web im Mausumdrehen. Mangelnde Fachkenntnis, Erfahrung und Information wird durch das Mitteilungsbedürfnis unserer bloggenden, kommentierenden, rezensierenden Mitsurfer ausgeglichen.
Manche Blogautoren sind so gut, dass man lieber sie per RSS abonniert und eine weitere so genannte Fachzeitung storniert. Leute, die es wissen müssen, behaupten, ich würde das mit einer gewissen Befriedigung sagen. Das ist infam. Ich kann sehr gut damit leben, wenn Redaktionen unsere Heldentaten schamlos übertreiben.
Das Bloggen greift auch in der BI-Welt um sich. Es gibt sogar Hunde, die einen eigenen BI-Blog haben. Der ist allerdings auch Experte und bei Hunden bleibt man ohnehin besser wachsam.
Tipping Point
Natürlich treiben sich in den Sherwood Forests von Web 2.0 und BI 2.0 nicht nur Robin Bloggers herum, sondern auch der böse Sheriff. Bevor er sich auf in den Wald machte, hat er noch Gladwells Tipping Point gelesen und weiß jetzt, dass Marketing in Zukunft ganz anders geht. Wir müssen uns die Kraft des Word-of-Mouth-Marketing erschließen. Das funktioniert von ganz allein bei hervorragenden Produkten, aber so viel Zeit haben wir nicht.
Im Augenblick knackt und kracht es noch sehr heftig, wenn der Sheriff durch den Wald schleicht. Wenn er in Amazon eine Kundenrezension für sein eigenes Produkt platziert, dann lässt er sie von seinem Werbetexter dichten. Er nutzt auch gerne die Kommentarfunktion der Blogs, lässt dabei aber gerne mal seinen Sheriffstern liegen oder schickt seinen wortkargen Deputy.
Guru-Schelte
Eine Liga höher spielen die Guru-Hauer. Das geht so: Erstmal braucht man einen Guru, der z. B. sagt: “Das ist die beste statistische Grafik, die je gemalt wurde. Sie ist schon ein paar Hundert Jahre alt und wir können daraus dennoch oder gerade deswegen eine ganze Menge lernen.” Der Guru-Hauer stellt sich jetzt auf ein möglichst breites Podium und sagt: “Für mich ist das die schlechteste Grafik, die jemals gemalt wurde, und wir können nur daraus lernen, wie man es nicht macht.” Je absurder, desto besser. Denn jetzt treten die Jünger des Gurus auf den Plan. Sie verteidigen ihren Guru wütend und verbreiten die Kunde vom Angriff über die ganze Welt. Eine Opposition formiert sich und verteidigt jetzt den Unsinn des Guru-Hauers. Die Jünger werden noch wütender und schießen zurück und so weiter und so fort. Am Ende fragen sich selbst vernünftige Leute, wer dieser verdammte, unglaublich selbstbewusste Typ eigentlich ist, von dem man zwar noch nie etwas gehört hatte, aber bei dem man sich langsam fragt, ob man von ihm schon mal gehört haben sollte.
“Nur ned ignorieren”
Was ist aus alledem zu lernen? Halten wir es mit Karl Valentin. Wenn es wieder kracht und knackt im Sherwood Forest: Nicht hinhören.