Ob man die Entwicklung von Staatschulden, Weltbevölkerung oder des Weltklimas logarithmisch oder linear skalieren muss, komme darauf an, was man zeigen will, heißt es. Falsch, sagen wir. Lineare Skalen führen regelmäßig in die Irre.
Die Höhe der Verschuldung der USA beschäftigt auch uns. Oder vielmehr die Diagramme, die dazu kursieren. Wir meinen: Sie sind falsch und zwar auf sehr grundsätzliche Weise. Weil sie nicht inflationsbereinigt sind, weil das Wirtschaftswachstum nicht gegenübergestellt wird, weil Präsidenten als erklärende Variable vereinfacht und verzerrt hineingeheimst werden – und weil sie linear skaliert sind. All das macht sie zu Panikcharts, die Öl ins Feuer gießen und Schaden anrichten, wo eine nüchterne Auseinandersetzung nottäte. Doch gemach.
Linear skaliert: Entwicklung der Kreditaufnahme der USA von 1940 bis 2016 (2011 bis 2016 geschätzt) und Regierungszeiten der US-Präsidenten seit Ronald Reagan. Quelle: Spiegel online, 08.08.2011. Anklicken zum Vergrößern. |
Übrigens: Die Spiegel-Grafik ähnelt der allerersten Grafik zur Staatsverschuldung überhaupt aufs Haar. Sie ist über 200 Jahre alt und stammt von William Playfair (1759-1823). |
Gleich schnell, gleich steil
Zunächst: Wenn wir Entwicklungen betrachten, was wollen wir dann wissen? Eine Entwicklung kann stagnieren. Es kann nach oben und nach unten gehen. Das wiederum kann schneller oder langsamer passieren, kürzer oder länger dauern. Das Faszinierende an einem Liniendiagramm ist, dass die gesamte Abfolge des Rauf und Runter zu sehen ist, ebenso wie die Geschwindigkeit der Bewegungen. Liniendiagramme sind Beschleunigungsbilder, Speedcharts. Allerdings nicht, wenn die Y-Achse linear skaliert ist. Dann hängt es nämlich von der absoluten Höhe der Werte ab, ob gleiche Geschwindigkeit auch gleich dargestellt wird.
Logarithmisch skaliert: die Daten aus der Grafik von oben. Quelle: Bissantz & Company GmbH, Daten: White House/Office of Management and Budget, Table 7.1: Federal Debt at the End of Year 1940–2016.
Das hatten wir schon mehrfach und es kann nicht oft genug gesagt werden: Um Geschwindigkeitsunterschiede zu sehen, muss die Y-Achse logarithmisch skaliert sein. Gleiche Neigung der Linie repräsentiert dann gleiche relative Veränderung und gleiche Geschwindigkeit. Der Vergleich der beiden Grafiken offenbart diese Unterschiede auf verblüffende Weise. Die Welt können wir damit auch nicht retten. Aber dass deutsche Unternehmen rekordverdächtige Halbjahresbilanzen präsentieren und dann der DAX einbricht, hat auch damit zu tun, wie wir die Zukunft sehen und damit wie sie uns gezeigt wird.
Es kommt darauf an. Wirklich?
Gegen logarithmische Skalen wird mitunter eingewandt, dass es darauf ankomme, was man zeigen will. Schließlich könne man bei einer logarithmischen Y-Achse nicht ohne Weiteres erkennen, ob die absolute Veränderung zu verschiedenen Zeitpunkten gleich war. Stimmt. Aber wann wollen wir das überhaupt? Wann wollen wir die Geschwindigkeit der absoluten Veränderung sehen?
Die Entwicklung der absoluten Höhe der Schulden der USA jedenfalls ist zwar ein schwindelerregender Hingucker, ohne Relation zum Bruttosozialprodukt ist sie aber nichtssagend. Die Garnitur mit den Präsidenten suggeriert, das Schuldenproblem wäre vor allem eine Frage der Amtsführung und hätte erst in jüngerer Vergangenheit an Dynamik gewonnen. Unser zweites Redesign zeigt, wie irreführend die präsidiale Überlagerung ist.
Normiert: Veränderung des Schuldenstands während der Regierungszeiten, jeweils: erstes Jahr der Legislaturperiode = 100.
Wie wird richtig skaliert?
Generell wird es bei Werten mit großer Bandbreite schnell problematisch, die Entwicklung absoluter Größen mit linearen Skalen zu zeigen. Selbst dann, wenn die wichtigste Vergleichsgröße allen Lesern bekannt ist und über den Beobachtungszeitraum konstant bleibt. Nehmen wir vereinfachend an, die Ressourcen der Erde seien endlich und uns fällt nicht mehr viel für die Zukunft ein, dann trifft das Bevölkerungswachstum auf einen konstanten Nenner. Da wir aber nur mutmaßen können, welche absolute Obergrenze Menschen der Planet aushält, ist der Nenner also doch nicht so konstant, wie es zunächst den Anschein hatte. Daher interessiert uns auch hier wieder die Geschwindigkeit des Wachstums unabhängig vom absoluten Niveau.
Lang, linear und konstant: Panikchart garantiert
Wem doch eine Größe einfällt, deren absolute Entwicklung ohne Vergleich mit einer anderen gezeigt werden soll, sei noch gesagt: Bei langen Zeiträumen, niedrigen Anfangswerten und gleichem Wachstum gelingt immer ein Panikchart, das anfangs lange flach verläuft und sich dann immer mehr aufsteilt, bis es nahezu senkrecht nach oben und durch die Decke geht. Unser Auge wird dieses Aufsteilen schwerlich als etwas anderes sehen wollen als das Erreichen einer kritischen Grenze.
Dann eben zwei absolute Größen nebeneinander
Na gut, mag der Verfechter der linearen Skalierung einwenden, dann zeigen wir aber die Schulden der USA und das Bruttosozialprodukt in der gleichen Grafik, dann haben wir doch unseren Vergleich. Auch das taugt wenig, wie wir schon einmal an US-Zahlen gesehen haben. Da beide Werte von unterschiedlichem Niveau starten, wäre eine scheinbar parallele Entwicklung ebenfalls irreführend.
Da mir für betriebswirtschaftliche Zwecke partout keine absolute Größe einfallen will, bei der die Entwicklung der absoluten Zuwächse aufschlussreich wäre, gehe ich wie folgt vor:
- Habe ich zwei oder mehr Vergleichsgrößen, prüfe ich mit unserem kleinen Lügendiagrammdetektor, ob es bei einer linearen Skala zu Verzerrungen käme und ich daher logarithmisch skalieren muss.
- Habe ich nur eine Größe, nehme ich zwei gegensätzliche Segmente aus der Entwicklung heraus und kann so ebenfalls den Lügendiagrammdetektor benutzen.
Ganz schön vertrackt. Drum: Mit logarithmisch macht man nie was falsch, mit linear selten was richtig. Ob das auch für prozentuale Werte gilt, schauen wir uns demnächst an.
Fortsetzung: Einfach falsch ist richtig schwierig