Reinhold Messner folgte in der Not Yak-Mist, um den richtigen Weg zu finden. Wir sollten nicht glauben, dass die Landkarten im Controlling so viel deutlicher wären. Was wir dieses Mal im schönsten Ballsaal Berlins gelernt haben.
Freitag hieß es: Ballsaal statt Blog und Berlin statt Nürnberg. Wir hatten zum dritten Mal in die Hauptstadt eingeladen, ins schöne Hotel de Rome. Montag noch bibberten wir, ob wir überhaupt hinkommen würden. Mittwochs dann Entwarnung, die Aschewolke zog ab, der Flugverkehr normalisierte sich und die Gäste konnten kommen. Mehr als 100 waren es dieses Mal, Unternehmer, Aufsichtsräte, Vorstände, Geschäftsführer und Controllingchefs. Und Reinhold Messner und Professor Peter Mertens. Der eine radikaler Abenteurer, der andere radikaler Wirtschaftsinformatiker.
Mehr Yak-Mist im Controlling? Reinhold Messners Faustregeln für das Überleben waren teils ungewöhnlich. Die Faustregeln der Unternehmer sind wenig erforscht. Es wird Zeit dafür.
Beide haben Stil und Duktus ihres Fachs begründet. Peter Mertens sah sich an, was seine ehemaligen Zauberlehrlinge fünfzehn Jahre später veranstalten würden. Ihm nämlich verdankt ein erheblicher Teil unserer Führungsmannschaft wissenschaftliche Ausbildung und Weihen. Und bei ihm war 1993 zum ersten Mal die Frage dieses Freitags entstanden: Wie steht es um menschliche Intuition und rechnergestützte Automation? Ziemlich gut, antworteten wir schon damals. Manches davon lässt sich an den Rechner delegieren. Die automatisierte Top-down-Navigation beruht auf diesem Prinzip.
Um zu bestaunen, wie treffsicher menschliche Intuition sein kann, hatten wir niemand Geringeren als Reinhold Messner eingeladen. Er machte sich zeitlebens in Abenteuer auf – stets nach sorgfältiger Planung, gründlicher Vorbereitung, logischem Abwägen und rationaler Bewertung von Chancen und Risiken. Für den entscheidenden Moment in Schnee und Eis, am Fels und in der Wüste, unter Druck und Lebensgefahr aber sagt er: „Meinen Instinkten wage ich nicht zu widersprechen.“ Der Bericht dieses Titanen ließ uns Normalsterbliche fröstelnd und mit offenem Mund zurück. Das dabei Gelernte werden wir besser nicht selbst probieren, aber das wurde klar: Manager ebenso wie Titanen handeln und entscheiden oft in Eile, unter unvollständiger Information und bei Unsicherheit und deswegen intuitiv. Mir scheint, wir können postulieren: Entschieden wird nur das Unentscheidbare. Der Rest lässt sich ziemlich einfach delegieren. Aber fürs Unentscheidbare taugt Logik wenig.
Reinhold Messner auf unserer Veranstaltung in Berlin: Seine Berichte von Abenteuern in eisiger Kälte bewegten und gingen unter die Haut.
Wie schön Intuition ist, das sagt der Berliner Max-Planck-Forscher Gerd Gigerenzer schon lange. Seiner Ansicht nach beruht Intuition im Wesentlichen auf Faustregeln und unsere unbewusste Intelligenz sucht sich die zur Situation passende heraus. Das ist wundervoll, denn Faustregeln kann ein Rechner lernen. Messner legte schon in sehr jungen Jahren mehr als 500 Routen durch den Fels der Dolomiten. Kühner und vor allem schneller und deswegen sicherer als seine Zeitgenossen. Wer mittags schon wieder zu Hause ist, der erlebt das Gewitter am Nachmittag in der Badewanne und nicht am Fels. Messners Geschwindigkeit beruhte auch auf seiner Faustregel, Sicherungen vorausschauend und immer dann zu legen, wenn er guten Stand hatte. Nachfolgende schwierige Passagen ließen sich dann zügig meistern. Andere Bergsteiger hingegen ließen sich von zunehmenden Schwierigkeiten überraschen. Dann erst wieder guten Stand und eine freie Hand gewinnen, kostet Kraft und Zeit.
Gigerenzers Ansicht ist nicht die einzige und die Crux an der unbewussten Intelligenz ist ihre Unbewusstheit. Aber auch ohne ihre Funktionsweise genau zu verstehen, die Intuition hat Rehabilitierung verdient. Was wir unserer Intuition an Nahrung geben müssen, davon erzählte Uli Drautz, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender und Leiter Konzerncontrolling der Bechtle AG. Er hat die Berichte für die 200 Menschen auf den diversen Führungsebenen des Unternehmens mit Grafischen Tabellen dicht und datenreich gestaltet. „Datenbilder“ sind es, in denen das Auge erst Überblick gewinnt und dann das Detail markiert findet, das genaueres Hinsehen lohnt. Ich habe sein Controlling „ausprobiert“, mich auf die Couch gelegt und gemacht, was wir schon länger vorschlagen: Couchcontrolling. Drautz‘ Berichte lohnen und belohnen intensives Studium. Man liest, versteht und sieht das Unternehmen hinter den Zahlen. Drautz hat gleich noch einen Kompass gestaltet, der die Flut an Zahlen und Berichten ordnet und Zugang leistet. Er ist so gut, dass wir hier auf keinen Fall verraten, wie er aussieht.
Auch Gunnar Reddemann, gelernter Chirurg und heute Controllingleiter der Paul Gerhardt Diakonie war als Pionier unterwegs: Er war einer der Ersten in Deutschland, die sich ans Medizincontrolling wagten. „In der Analyse liegt die Kraft“, sagt er und möchte „lieber analyseklotzen als rechenkleckern“. Als er mit dem Medizincontrolling anfing, war es keinesfalls selbstverständlich, dass Mediziner und Controller sich verstanden. Der Weg dorthin führte über Disaggregation und Detail und seine Berichte beweisen wieder einmal den Lehrsatz guter Gestaltung: Unübersichtlichkeit ist ein Design- und kein Datenproblem. Reddemanns Berichte jedenfalls sind ebenfalls Datenbilder, schön und intuitiv zu lesen. Management und Mediziner sprechen jetzt über dasselbe Problem – nicht der eine über Zahlen und der andere über Diagnosen.
Mit Peter Pollig von der Porsche AG, dort Leiter der Abteilung Planung und Steuerung im Ressort Finanzen, beleuchteten wir das Tagesthema aus anderem Blickwinkel. Auch bei ihm ging es um die unbewussten Elemente der Wahrnehmung und Entscheidung. „Emotionales Controlling für emotionale Produkte“ ist Polligs Motto. Sehr bewusst nämlich ist uns: Wir haben mehr Daten als Zeit. Die Empfänger unserer Botschaft zu erreichen, ist daher die Kunst, die es zu meistern gilt. Eibl-Eibesfeldt lehrt uns, dass unser Auge großen Appetit hat. Wir wollen sehen und mit dem Gesehenen gedanklich spielen. Ordnung und Zusammenhang zu erkennen wird belohnt: Erkenntnis macht froh. Je mehr unsere Berichte Neugier belohnen, desto fröhlicher lesen wir sie. Auch das ist wieder ein Beleg dafür, wie wenig uns verkürzte Signale und in Ampeln und Tachos vorweggenommene Bewertungen ansprechen – von den damit verbundenen Gefahren einmal abgesehen.
Ich selbst durfte zeigen und begründen, wie wir die Zukunft des Business Intelligence sehen. Mein famoser Kollege Gerald Butterwegge ergänzte das mit Fertigem und Prototypischem aus unserer Entwicklung. Wer nicht dabei war, hat das verpasst. Hier sei soviel verraten: Automation plus Intuition ergeben Antizipation. Die Automation wird es von uns geben, die Intuition bringen Sie mit, zusammen ergibt das Steuerung mit weniger überraschenden Vulkanausbrüchen.