Ein Gespräch mit Sven Piechota über BI 2.0, die Entschleunigung des Fortschritts und afrikanische Jäger
Bissantz Mein sehr persönlicher Eindruck der letzten Monate: Im Bereich Business Intelligence passieren gerade sehr ermutigende Dinge: Überall auf der Welt setzen sich bessere Darstellungsformen durch, die auch aufs Business Intelligence ausstrahlen. Die Front gegen Marketinggags wie Controllingtachos wird breiter. Das Internet vernetzt die Experten immer besser, so dass sich hochwertige Ideen von Individualisten, die keiner Firmenstrategie unterworfen sind, schneller verbreiten und auch durchsetzen werden. In den Unternehmen sind die Daten besser geworden. Man hat gute und schlechte Erfahrungen mit Softwarewerkzeugen gesammelt und ist kritischer geworden. Das Urteilsvermögen steigt. Nachholbedarf sehe ich aber auf analytischer Ebene. Hier wird zu wenig getan, um die Mitarbeiter analytisch fortzubilden. Was hilft das ganze Berichtswesen, wenn keiner die Daten lesen kann? Wie ist Ihr Eindruck?
Piechota Nachdem ich einige Jahre den BI-Markt eher passiv beobachtet habe: Ich empfinde die Visionen dort und die Protagonisten eher als Sachwalter des Themas denn als Innovatoren. Die Folien, die Präsentationen und die Produkte sind dementsprechend – Ausnahmen bestätigen die Regel – alles in allem ausgesprochen hausbacken. Ein paar Punkte hierzu:
Vor zehn Jahren wurde das Konzept des Collaborative Analytical Processing erarbeitet, das auf eine Integration von quantitativ orientierter BI, searchzentrischer BI (die es damals noch nicht gab und dann später als Suchmaschinen Karriere machte) und den auf eine Informationsversorgung zielenden Unternehmensprozessen Wert legte. Von diesen glorreichen Ideen ist nichts umgesetzt, am meisten noch von Google, aber die kommen ja nicht aus der BI-Ecke.
Die BI-Hersteller reden alle von „Managern“, die sie versorgen wollen, die sind aber sehr heterogen: Mal sind die an Leistungen interessiert, mal an Fakten, mal an Meinungsbildern, mal an der Durchsetzung von Wandel (das Macherimage kommt genau daher). Technisch können wir das alles umsetzen – warum macht das keiner?
Genau ein Steuerungsbedarf von Managern wurde dann mit dem Gesamtmarkt gleichgesetzt: xPM, also x Performance Management. Diese thematische Fokussierung mag man noch verstehen, wahrscheinlich sitzen bei dem Leistungsdruck, der auf die Führungsetage von analytischer Journaille, Investoren, Politik, den Medien und der Börse ausgeht, die Budgets hier am lockersten. Ich halte es in diesem Zusammenhang für unsinnig, das Thema auf der Applikationsebene zu diskutieren und das Potenzial, was in diesem Zusammenhang eine gute analytische Architektur haben kann, ganz zu vernachlässigen.
Ich bin wirklich gespannt, wann die ersten wirklichen BI-2.0-Lösungen auf den Markt kommen und ob sich BI-Services wie etwa „Salesforce.com“ für den BI-Markt etablieren können. Die Technik ist da, der Markt sicher auch.
Bissantz Da möchte ich eine Klage ergänzen. Vieles scheint mir deswegen auf der Strecke zu bleiben, weil Management und Controlling aneinander vorbeireden. Controller überschätzen die Kapazität ihrer Manager, Informationen würdigen zu können. Manager können oftmals nicht formulieren, welche Informationen sie wirklich brauchen. Ich sehe hier auch ein Ausbildungsdefizit. Gerade auf dem letzten Meter des Informationshighways ist wieder Schotterstraße: Die Informationsvermittlung und -darstellung bedient sich eines qualitativ unzureichenden Instrumentariums. Wenn ich PowerPoint-Vorlagen sehe, in denen man für die Corporate Identity bereits die Hälfte des ohnehin knappen Folienraums verwendet, möchte ich manchmal davonlaufen.
Piechota Das erinnert mich an die häufig anzutreffende Kommunikationslosigkeit zwischen CIO und Management: Wie oft haben wir die Aussage von IT-Managern gehört, die Anwender könnten ja nicht einmal formulieren, was sie wirklich wollten. Als Beleg wird dann angeführt, der Anwender verstünde nicht die Datenmodellierung nach Chen oder Ähnliches. Die Erstellung eines guten, aussagereichen und leicht zu verstehenden Berichtes ist eine Kunst. Sie ist immer noch keine Wissenschaft und deshalb wird sie meist von technischen Mitarbeitern vermittelt, die Berichte nicht unter Wahrnehmungsaspekten erstellen, sondern als Präsentationsforum der Features von Softwareprogrammen. Ich biete an meiner Hochschule seit einigen Jahren einen Kurs „Betriebliche Diagnostik“, in dem wir genau diese Präsentation von Rechercheergebnissen üben. Der erhebliche Vorteil von Pionieren wie Hichert oder Bissantz ist, dass ihre fortwährende Beschäftigung mit dem Thema zu immer mehr Wissen über die Wahrnehmungseffizienz von Managementberichten führt, das in die wissenschaftliche Ausbildung integrierbar ist.*
Bissantz Offensichtlich ist da einiges zu tun. Ich hoffe, ich tue Rolf Hichert nicht unrecht, wenn ich sage, er fokussiert auf das, was man vielleicht Beraterreporting nennen könnte. Ihm geht es darum, dass Controller liebevoll aussagekräftige Reports erstellen, die Stellung zum gezeigten Sachverhalt beziehen. Wir betonen das Reporting in der Linienstruktur des Managements und denken viel über sinnvolle Automation nach. Beide haben wir alle Hände voll zu tun. Und die Ausbildung muss dafür sorgen, dass es genügend Leute in den Unternehmen gibt, die Ergebnisse produzieren, darstellen und wiederum hinterfragen können.
Piechota Die Frage der Redaktion erinnert mich wieder an etwas, diesmal an das beklagenswerte Verhalten mancher Journalisten, die keine Frage stellen, sondern ex ante Gegen-Statements formulieren. Zum sachlichen Teil: Informationspräsentation kommt in vielen Anwendungssituationen daher, beispielsweise müssen Controller Standardberichte zur Lenkung eines Unternehmens abliefern, aber auch Expertisen zu individuellen Entscheidungssituationen abliefern. In allen Anwendungsfällen gehört messtheoretisch zu der Informationsversorgung eine Wertung der Datenlage: Ist die Umsatzentwicklung gut oder schlecht? Und genau damit tun sich viele Informationsversorger schwer. Das kann soweit gehen, wie wir es dieser Tage bei der Einschätzung der iPod-Umsätze gesehen haben, wo ein kritischer Bericht eines großen IT-Marktforschers gravierende Reaktionen aller Beteiligten ausgelöst und schnell zu einem „Gegen-Statement“ durch die Beraterkonkurrenz geführt hat.
Zur Beraterkompetenz von Controllern: Hier ist vieles im Wandel. Die ersten Generationen von Controllern haben sich selbst eher als Kostenrechnungs-Gurus positioniert, die an der Präsentation ihrer wertvollen Daten völlig uninteressiert waren. Heute ist die Kostenrechnung lediglich ein Baustein im ständig wachsenden Werkzeugkasten des Controllings. Performancesteuerung, Wertorientierung, Strategieumsetzung, Risikobewusste Planung, Integration interner und externer Berichterstattung und viele andere Themen mehr kommen mit den Hochschulabgängern der jungen Generationen dazu. Und diese jungen Controller sind auch sehr viel informationsbewusster: Die bringen schon erhebliche Fähigkeiten im Umgang mit Methoden und Informationstechnologien von der Hochschule mit. Die sehen ihre Kompetenz nicht ausschließlich im Herumschieben von Zahlen in Tabellenkalkulationen. Diese Stoßrichtung der Controllerausbildung halte ich für die, die den tatsächlichen Unterstützungsbedarfen von Managern recht nahe kommt.
Bissantz Bei Hichert ebenso wie bei uns spielt der kompetente Umgang mit Grafiken naturgemäß eine wichtige Rolle. Wir wollen Businessgrafiken beinahe komplett durch grafische Tabellen (Tabellen mit Sparklines und anderen grafischen Elementen) ersetzen, Hichert vermittelt den Controllern Kenntnisse im Umgang mit der Ad-hoc-Erstellung von Grafiken. Was ist Ihre Position?
Piechota Lassen Sie mich mit einem Augenzwinkern antworten: Der Volksmund sagt, man sei „im Bilde“ und nicht „in der Tabelle“. Aus der Werbeforschung wissen wir aber, dass die Wahrnehmung grafischer Informationen in der Mehrheit sehr viel effizienter ist als die tabellarisch dargebotenen Inhalte. Natürlich gibt es da individuelle Ausnahmen, die aber statistisch tatsächlich die Ausnahme sind. Ich glaube auch, dass die Formfrage in Richtung Grafik entschieden ist und Sparklines diese Effizienzchance der Wahrnehmung klug auf zeichenweise gegebene Informationen übertragen. Allerdings ist die Form nur ein Teil der Problemlösung: Man sollte die analytische Kommunikation stilistisch auf ein vom Leser angenehmes Niveau zu heben versuchen. Eine selbstkritische Frage weist hier den Weg: Warum zieren sich Manager, Budgets für Style-Guides des Managementreporting zu genehmigen, wenn sie gleichzeitig – und das oft sogar aus versteuertem Einkommen – das F.-Magazin kaufen und begierig durchblättern? Der Stil der Zeitung gefällt und der wird von mehr Elementen bestimmt als die Frage, was als Grafik und was als Text präsentiert wird. Unser Leitbild sollte nicht ein kaskadierendes Stylesheet sein, sondern eine interessante, zuweilen kurzweilige Managerzeitung. Das sage ich allerdings schon sehr lange.
Bissantz Man könnte irre darüber werden, wie lange es manchmal dauert, bis sich gute Dinge durchsetzen. Mein Lieblingsbeispiel ist die DB-Flussrechnung. Mitunter überkommt mich der Eindruck, dass sich Schund leichter verkauft als Qualität. Was ist Mode, was ist Methode im Controlling?
Piechota Mercedes hat mit Qualität eine ganze Weile lang nicht wenig Geld verdient. Aber diese Entschleunigung von Wissensfortschritten ist schon beachtlich: Das derzeitige Modetool im Controlling ist statistisch nachgewiesen die Balanced Scorecard. Die wurde 1992 von Kaplan/Norton publiziert. Dann haben wir Wissenschaftler die Unternehmensberater 10 Jahre lang geschult und seit 10 Jahren tragen die nun dieses Wissen in die Praxis. Nota bene: Kirsch, ein bedeutender deutscher Betriebswirt, hat schon in den 70er-Jahren genau so ein Steuerungssystem konzipiert, nur hierzulande klappte der Wissenstransfer in die Unternehmenspraxis nicht. Die afrikanischen Jäger scheinen recht zu haben: „Slowly, slowly catch the monkey.“
Bissantz Aktuell sind die Simplifizierer wieder unterwegs. Maedas Ansatz finde ich hervorragend. Der KISS-Spruch hingegen ist ein Totschlagsargument und beleidigt die Intelligenz jedes denkenden Menschen. Unsere Welt ist herrlich vielfältig und auch ein bisschen verzwickt und vertrackt. Lösungen können an der Oberfläche einfach sein, es kann Sinn machen, auf dieses oder jenes zu verzichten. Aber auch dem gehen anstrengende, tiefgründige Gedankengänge voran, die mit KISS nichts zu tun haben. Nur Einstein ist da zu folgen: Mache alles so einfach wie möglich, aber nicht einfacher.
Piechota Eigentlich kann ich diesen weisen Worten nur wenig hinzufügen. Vielleicht ein Hinweis: Oswald Neuberger hat in seinem interessanten Buch „Führen und führen lassen“ definiert, wann man von Ideologien spricht**:
Eine Ideologie ist eine zusammenhängende, gedankliche Konstruktion, die als umfassende Rechtfertigung einer bestehenden oder angestrebten/zukünftigen Wirklichkeit angestrebt wird.
Ideologien sind fundamentalistische Simplifizierungen, die alles aus einem Punkt zu kurieren versprechen.
Ideologien dulden keine Indifferenz, Ambivalenz oder Kritik.
Ideologien bieten Kurzschlüsse zwischen vorgeblichen Einsichten und Handlungsprogrammen an: Weil man sicher weiß, hat man entschlossen zu handeln.
Insoweit sind „Simplify your…“ – Strategien – im persönlichen Bereich und bei der Führung und Steuerung von Unternehmen – sicher Ideologien.
Quellen:
* Drevsen,Anette/Piechota, Sven: „Wahrnehmungseffiziente Managementberichte“, ControllerPraxis Oktober 2005, Beitrag 3.
** Neuberger Oswald: „Führen und führen lassen“, Stuttgart 2002, S. 58