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Zahlen zeigen mehr als Zeiger

Wer eine Alternative zur Darstellung von Zahlen sucht, der lässt sich mitunter vom Design bewährter Dinge wie Autos, Uhren und Ampeln leiten. Wir sehen uns an, was es dabei zu beachten gilt und ob sich die Mühe der Codierung überhaupt lohnt.

Ich bin voreingenommen. Klassische, analoge, runde Anzeigen sind schön, bei Uhren wie bei Autos. Die Ära der digitalen Armbanduhren ging an mir vorbei. Und an den ebenfalls digitalen Bandtacho des Citroen CX meines Vaters wollte ich mich nie recht gewöhnen. An seine Luftfederung auch nicht. Als Kind auf der Rückbank wurde mir regelmäßig schlecht. Das Auto wurde überdies anstelle eines Alfa Romeo GTV angeschafft. Ich wäre schon zu groß, der Alfa zu klein.

Analoge Ampel in Bochum.
Heuerampel in Bochum: analog und seinerzeit sehr praktisch. Man erfährt nicht nur, dass die Ampel rot ist, sondern auch wie lange noch.

Ich bin nochmals voreingenommen. Eine Zahl ist eine einfache, kompakte, eindeutige, platzsparende Beschreibung eines Faktums. Diese Vorteile zugunsten einer grafischen Umcodierung aufzugeben, dafür bedarf es guter Gründe. Lassen sich welche finden?

Analog als Folge der Mechanik
Fast immer stammen analoge Anzeigen aus einer Zeit, in der die Elektronik noch nicht erfunden war. Zahlen mechanisch anzuzeigen ist aufwändig. Bei Armbanduhren hat es bis in unser Jahrtausend gedauert, bis man die Stopp­funktion in Zahlendarstellung mechanisch konstruieren konnte. Deswegen wird man nicht auf das Tragen eines klassisch schönen Chronographen mit analogen Totalisatoren verzichten. Im Informationsdesign aber ist das, was alt ist, noch lange kein Vorbild.

Unbekannte Skalierungen
Die Heuerampel oben war eine beeindruckende Erfindung. Es gab sie von den 30ern bis in die 70er Jahre. Sie zeigt praktischerweise, wie lange die aktuelle Rot- oder Grünphase noch andauert. Allerdings tut sie das in einer zeitlichen Schrittweite, die wir erst erlernen müssen. Moderne Pendants zeigen die verbleibende Zeit in Sekunden mit Hilfe einer Digitalanzeige. Das ist besser.

Informationsreduktion
Wenn wir Zahlen durch grafische Elemente ersetzen, nehmen wir eine Infor­mationsreduktion in Kauf. Die üblichen Tankuhren funktionieren nur, weil wir gelernt haben: Mit einem halbvollen Tank kommen wir noch ganz schön weit. Spätestens wenn demnächst im Tank unserer Autos kein Benzin mehr ist, sondern Strom, wird uns bewusst werden, dass “halbvoll” keine Entschei­dungs­hilfe ist. Ebenso würde es Managern ergehen, wenn sie erführen: “Das Fertigwarenlager ist halb leer”. Also: 3:0 für die Zahl.

Zeig die Zukunft
Unser Interesse gilt ohnehin weniger den Füllinhalten als ihren Konsequenzen. Wir wollen wissen, wie weit wir mit dem aktuellen Tankinhalt noch kommen. Wir wollen eine Prognose. Sogar ein Hauch Optimierung wäre uns recht: Soll ich bereits nachtanken oder erreiche ich trotz Stau und anderer Unwägbar­keiten noch sicher die besonders günstige Tankstelle und verringere oben­drein die Standzeit an der Tankstelle? Ich meine daher: Füllstandszeiger liefern wenig Inspiration für gutes Informationsdesign.

Synchronisierung
Robotern Tennis beizubringen, ist schwer. Ein Mensch lernt es hingegen ver­gleichsweise leicht, Flugbahnen von Objekten abzuschätzen und mit eigenen Bewegungen zu koordinieren. Analoge Anzeigen scheinen mir dort im Vorteil, wo wir die Annäherung an einen bestimmten Wert mit einer eigenen Handlung synchronisieren müssen. Der Blick auf den Drehzahlmesser signalisiert die tatsächliche Drehzahl nur grob, aber wir erfassen intuitiv und schnell die Ge­schwindigkeit, mit der sich die Nadel dem roten Bereich bzw. einem sinnvollen Schaltpunkt nähert und wann dieser Punkt erreicht ist. In Renn­wagen ist der Tacho zwar digital, die Anzeige der Drehzahl bleibt aber meist analog. Ein Punkt für die Zeiger.

Ablesbarkeit
Auf einem Chronographen setzt sich die Stoppzeit aus der Anzeige mehrerer sogenannter Totalisatoren zusammen. Die Zeit muss also aus mehreren An­zeigen zusammengesetzt werden. Das dauert. Verglichen mit einer Digital­anzeige ist die Ablesbarkeit katastrophal. Wie schwer gute Ablesbarkeit ana­log herzustellen ist, zeigt jeder Tacho. Eine kilometergenaue Anzeige – digital kein Problem – ist auf einer analogen Skala undenkbar. 4:1 für die digitale Zahl.

Es lebe die Zahl. Als Maß und Darstellung.

Nicolas Bissantz

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