Sander Sie arbeiten an einem Buch, das einen ungewöhnlichen Standpunkt vertritt. Im Manuskript steht zum Beispiel, dass Business Intelligence überschätzt wird und Sie sich eine neue Bescheidenheit wünschen. Starker Tobak für einen BI-Hersteller?
Bissantz Das Buch richtet sich primär an Manager. Ich glaube nicht, dass die allzu überrascht sein werden. Es ist eine Art Selbstverteidigungskurs. Ein Manager wird sich in vielem bestätigt finden, was er schon länger geahnt hat. Bisher hat er vielleicht einiges still ertragen, für die Zukunft biete ich eine fruchtbare neue Position an.
Sander Ein Beispiel?
Bissantz Der selbst gewählte Anspruch des Business Intelligence ist zu hoch. Man erlebt dieselben Übertreibungen wie seinerzeit beim Data Mining; was folgen wird, ist unnötige Enttäuschung.
Sander Hat Data Mining nicht funktioniert? Es gibt doch wunderbare Beispiele wie die Buchempfehlungen von Amazon.
Bissantz Natürlich, die gibt es. Wobei das Amazon-Beispiel eine großzügige Definition voraussetzt, um es dem Data Mining zuzuordnen. Die meisten Unternehmen sind gut beraten, nicht zu viele Überraschungen in ihren alten Datenbeständen zu erwarten. Ich kritisiere diese moderne Legendenbildung wie bei dem altbekannten Beispiel von Wal Mart …
Sander … die jungen Männer, die Freitagabend Bier und Windeln einkaufen?
Bissantz Wal Mart soll Millionen mit dieser Erkenntnis verdient haben. Die Geschichte ist gut, aber sie ist nur gut erfunden. Man kann das im Internet nachlesen. Sie funktioniert nach dem Motto: „Never let the truth get in the way of a good story.“
Sander Und was ist die moderne Sage des Business Intelligence?
Bissantz Die richtigen Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Sander Das soll falsch sein?
Bissantz Manager werden häufig kritisiert, weil sie ihrem Bauch folgen statt den Daten. Natürlich können wir eine ganze Menge sinnvoller Informationen liefern, die es lohnt zu berücksichtigen. Dass Business-Intelligence-Software Erfahrungswissen und Intuition ersetzen kann und ein Blick auf ein paar Ampelgrafiken genügt, um zu wissen, wohin man das Unternehmen steuern muss, ist aber übertrieben.
Sander Plädieren Sie für eine Rehabilitation des Steuerns nach Bauchgefühlen?
Bissantz Das Wort ist das Problem, es geht nicht um Gefühle. Wir treffen alle unterbewusst rationale Entscheidungen. Sie werden uns nicht bewusst, weil sie rasend schnell und gewohnheitsmäßig getroffen werden. Erst wenn wir sie begründen müssen, kommen wir ins Schleudern, weil wir sie auf einer bewussten Ebene mühsam zu rekonstruieren versuchen. Um uns das zu ersparen, nennen wir es Bauchgefühl.
Sander Also brauchen Manager gar keine Daten?
Bissantz In die letztlich unterbewussten Entscheidungsprozesse gehen alle Daten und Fakten ein, die wir wahrgenommen und gespeichert haben. Mir geht es um das richtige Gewicht. Wenn wir Business Intelligence gestalten, müssen wir uns doch fragen, wie waren die Fugger und Myriaden andere Unternehmer bisher in der Lage, ganze Weltreiche zu steuern ohne Business Intelligence.
Sander Was ist dann der Beitrag, den Business Intelligence leisten kann?
Bissantz Das Potenzial ist groß, aber ich bezweifle, dass es erreicht werden kann mit dem, was derzeit in Mode ist. Daten sollen jetzt partout sexy oder in Dashboards rüberkommen, bei denen man glaubt, man säße in einem Rennwagen.
Sander Ist das nicht Ihre eigene Lieblingsmetapher?
Bissantz Im übertragenen Sinn: ja. Sich zu fragen, was man aus der Steuerung eines Autos für das Design von Informationssystemen lernen kann, ist im Land der Autonarren immer reizvoll. Was nicht klappt, ist die Übertragung 1 : 1. Ein Tacho ist perfekt, um die Geschwindigkeit abzulesen, zur Darstellung einer Kennzahl ist er pure Platzverschwendung.
Sander Und wie sieht dann der ideale Controllingtacho aus?
Bissantz Auf keinen Fall wie ein echter Tacho. Beim Autofahren haben wir nur wenig Zeit, auf die Armaturen zu schauen. Im Controlling ist es umgekehrt. Alles auf einen Blick heißt beim Autofahren, alles auf einen Blick, der nur eine Sekunde dauern darf. Im Controlling bedeutet es: Alle Informationen auf einer Seite, die dann ein gründliches Studium rechtfertigt. Dazu brauchen wir eine enorm hohe Datendichte.
Sander Also möglichst viele Daten auf einer eng bedruckten Seite? Ist das nicht überladen und schwer zu lesen?
Bissantz Genau diesem Missverständnis unterliegen viele Informationsdesigner. Schauen Sie sich den Börsenteil einer Zeitung an und stellen Sie sich das in PowerPoint vor. Aufgrund der geringen Auflösung der Projektionstechnik würde aus einer Seite eine endlos lange Präsentation kleinster Informationsbausteine. Vergleiche, Bewertungen, Einordnungen werden erst möglich, wenn wir alles Relevante innerhalb der Augenspanne vorfinden. Wenn wir vorsichtig mit Farben und Begrenzungslinien umgehen, unnötiges Beiwerk vermeiden und möglichst viel Tinte für die Daten verwenden, bringen wir hohe Informationsdichten zustande, die einwandfrei lesbar sind.
Sander Sie wollen zurück zu Papierberichten? Ist das nicht einer der Fortschritte, dass wir die endlosen grün-weiß gestreiften Berichtsstapel los sind?
Bissantz Papier lässt eine weitaus höhere Auflösung zu als ein Bildschirm. Wir können also mehr auf weniger Raum darstellen. Das Ideal ist für mich eine Sitzung, in der jeder auf DIN A3 ausgedruckt alle notwendigen Daten vor sich hat. Während die Zahlen diskutiert werden, kann jeder sich seine eigenen Gedanken machen, bei einem Punkt verweilen oder für sich schon weitergehen. Das ist beim üblichen Ablauf einer Folienpräsentation ja immer eine Quälerei. Für die einen wechselt der Referent die Folien zu langsam, für die anderen zu schnell. Die Zuhörer sind Sklaven des Mediums.
Sander In Ihrer Idealsitzung bleibt der Projektor also aus?
Bissantz Er wird nicht für die Projektion von Berichten verwendet, weil dafür die Auflösung zu wenig Datendichte hergibt. Stattdessen zeigt man für alle sichtbar das System, das die Daten produziert hat, und nutzt seine Interaktionsmöglichkeiten für Fragen, die während der Diskussion aufkommen.
Sander Wird das schon so gemacht?
Bissantz Aber ja. Interessanterweise sind die Unternehmen hier viel weiter als die Diskussion, die man in der Öffentlichkeit mitbekommt. Schön ist auch die Alternative, den DIN-A3-Bericht an die Wand zu pinnen. Alle stehen drum herum, jeder darf mit seinem Stift einen Bereich markieren, alle sind in Bewegung und involviert. Bei PowerPoint-Präsentationen in halb abgedunkelten Räumen schläft doch regelmäßig die Hälfte der Leute ein.
Sander Sie scheinen kein besonderer Freund von PowerPoint-Präsentationen zu sein.
Bissantz Für einen guten Referenten und die richtige Aufgabenstellung ist PowerPoint kein Problem. Aber es verführt viele Leute zu der irrigen Annahme, wenn sie zehn Folien mit jeweils drei Nummerierungspunkten voll bekommen, hätten sie bereits eine Botschaft. Ich kenne Finanzvorstände, die verbieten PowerPoint als Medium für die Kommunikation im Controlling. Man liest sehr viel schneller, als jemand sprechen kann. Wenn alle einen ausgedruckten Bericht vor sich haben, wird sehr viel mehr Substanz in sehr viel weniger Zeit rübergebracht. Und wenn kein Bericht vorliegt, gibt es häufig auch keinen Grund sich zusammen zu setzen.
Sander Wohin wird sich Business Intelligence in den nächsten Jahren entwickeln?
Bissantz Ich beobachte so etwas wie ein Business Intelligence 2.0, das sich gerade zu formieren beginnt – analog zu den Veränderungen im Internet, die man unter Web 2.0 subsumiert. Im Augenblick hat das den Charakter einer Guerillabewegung, weil es weitgehend unbemerkt von den etablierten Organen stattfindet.
Sander Guerilla? Das klingt sehr kampfbetont. Ist es denn so schwierig, die genannten Ideen durchzusetzen?
Bissantz Es ist ein fröhlicher Kampf und hat etwas von David gegen Goliath. Auf der persönlichen Ebene ist es vergleichsweise einfach. Ein Konzern fragte uns, ob wir Controllingtachos können, wenn nein, könnte er nicht mit uns zusammen arbeiten. Wir haben eine Analyse des Für und Wider zurückgeschickt und die Tachos waren vom Tisch. Auf der Ebene des Gesamtmarktes läuft es allerdings anders.
Sander Wie läuft es da?
Bissantz Viele Hersteller haben große Summen in Programmierung und Marketing für Konzepte gesteckt, die meiner Meinung nach in die falsche Richtung führen. Sie haben wirtschaftlich allen Grund, diese Konzepte zu verteidigen, und tun das auch. Das hat seine Wirkung und daher wird es ein wenig dauern, bis die Kräfte dagegen sich durchsetzen.
Sander Welche Kräfte sind das?
Bissantz In dem, was ich bisher gesagt habe, stimmen alle Experten überein, die nicht am Tropf irgendeines auf schnelle Gewinne angewiesenen Konzerns hängen. Besuchen Sie das Diskussionsforum des Altmeisters der Visualisierung Edward Tufte. Dort finden Sie alle Guerilleros versammelt.
Sander Danke für das Interview.
Das Interview führte Hans-Peter Sander.
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