Mitarbeiter wünschen sich mehr Anerkennung. Chefs wünschen sich mehr Zeit, Anerkennung zu geben. Kann der Computer einspringen? Würde ein Avatar des Chefs emotional dasselbe in Mitarbeitern auslösen wie der echte Chef? Könnte sein. Erste Erfahrungen mit einer Idee, die einen großen Mangel in der Mitarbeitermotivation beheben könnte.
Im Juni, nach unserem Executive-Forum, machte ich einen Streifzug durch Berliner Galerien. In der Blain/Southern stieß ich auf Nassan Tur. Die Galerie ist in der ehemaligen Druckerei des “Tagesspiegels” untergebracht. In der großen Halle ist viel Platz. Nassan Tur füllte ihn komplett. An den beiden Längswänden hängen 800 scheinbar identische Zeichnungen in einem regelmäßigen Raster. Jede Zeichnung zeigt eine abweichende Schreibweise des Wortes Kapital: Kapitahl, Kaapital, Kappital, Khapital, Kapitaal usw. Nassan Tur hat die Wörter eigenhändig auf Papier getuscht. Das Ganze heißt treffend “Variationen von Kapital” und wird ergänzt von der Videoarbeit: “Banker sagen Kapital”. Auf einen monolithischen Block sind vier senkrecht gestellte Monitore geschraubt. Darauf sieht man vier überlebensgroße Gesichter, überdeutlich ausgeleuchtet. Die Gesichter gehören Bankern aus Berlin und Frankfurt. Sie mühen sich, die verschiedenen Schreibweisen auszusprechen.
Wenn Chefs auf Erfolgsmeldungen warten, sieht das in Zukunft vielleicht so aus. Installation von Nassan Tur in der Berliner Galerie Blain/Southern.
Der Empfang der Galerie ist nur ein paar Meter entfernt. Ich war nicht der Erste, der die beiden Damen dort fragte, wie es einem geht, wenn man pro Tag etwa 10.000 Mal dasselbe Wort hört: Man gewöhne sich daran und irgendwann höre man es nicht mehr.
Ich erinnerte mich an andere, profanere Installationen. Auf einem Messestand war ich einmal derart lebensecht von einer elektrischen Dame mit einem Lampenschirm auf dem Kopf begrüßt worden, dass ich Mühe hatte, sie nicht ebenfalls zu begrüßen. In der BMW-Welt in München wird man ebenfalls von einem lebensgroßen Zeremonienmeister begrüßt, allerdings steht der auf einer mannshohen Bildschirmkombination, die man gut als solche erkennt. Ein Täuschungseffekt scheint erst gar nicht beabsichtigt.
Projektion auf menschliche Silhouetten (Messestand).
Der Modefirma Stone Island gelang auf einer Messeinstallation der Effekt, der mich bisher am stärksten beeindruckte: In einem vollständig mit Kupfer ausgeschlagenem Raum scheinen Modelle hinter mannshohen Fenstern auf einem Hof zu stehen. Ab und an bewegen sie sich, drehen sich um die eigene Körperachse und zeigen so, wie die Kreationen von Stone Island angezogen aussehen. In Wahrheit ist da weder ein Hof noch sind die Herren anwesend. Man sieht Filme auf zwei senkrecht übereinander gestellten Monitoren und der trennende Rahmen ist gut zu sehen. Dennoch funktioniert die Täuschung auf frappierende Weise.
Videoinstallation, die einen glauben lässt, man blicke auf Modelle, die auf einem Hof herumstehen (Messeinstallation Stone Island, 2012).
In der Ausstellung von Nassan Tur hielt ich mich etwa eine halbe Stunde auf. Auf 600 Mal Kaaappppitaaahl, Kappitall, Kahhhpitaaaal usw. muss ich es in dieser Zeit wohl gebracht haben. Dieses akustische Bombardement blieb nicht ohne Folgen. Ich verließ die Galerie tief in volkswirtschaftlichen Fragen versunken. Wieder zu Hause grübelte ich, wie meine gesammelten Erlebnisse mit Avataren zu den Diskussionen mit dem Hirnforscher Prof. Gerhard Roth passten. Roth war unser Gastredner auf dem Executive-Forum, die jüngsten Gespräche waren mir noch frisch im Gedächtnis. Wahrnehmung, so hatte ich gelernt, gehorcht universellen Gesetzen, die individuellen Abweichungen sind gering. Wenn ich von überlebensgroßen Gesichtern und elektrische Menschen fasziniert bin und hinsehen muss, dann weil bestimmte Mechanismen wirken, die für uns alle gelten.
Wie kann man sich das für die Unternehmensführung zunutze machen? Mehr dazu beim nächsten Mal.